Haste Töne?
- Soundprogrammierer Jochen Hippel im Interview -

 

Autobahnabfahrt, Landstraße, Wegweiser Gütersloh, Landstraße, Ortseingang, Straßengewühl, Schilder, ein Passant - dem Himmel sei Dank -, Straßen, zweite Ampel links, rechts, Tanken, erkundigen, wenden, suchen Straße stimmt, nanu? Ein Parkhaus! Weiter gehts per pedes, Bürgersteig, eine Fußgängerzone, allenthalber Einkaufsrummel, Hausnummer suchen, etwa dort? Tatsächlich! Endlich geschafft - wir sind bei Thalion Software in Gütersloh angekommen!

Oben bittet uns Holger Flöttmann herein und versorgt uns mit den wichtigsten Dingen nach einer solchen Anreise: Einem halbwegs ruhigen und kühlen Raum (draußen waren ca. 25 Grad und strahlender Sonnenschein - genau das richtige Wetter, um sich ins Auto zu schwingen und irgendwohin zu fahren), einem gemütlichen Sessel und etwas Kaltem zu trinken. Nach einer kurzen Pause der Akklimatisierung sehen wir uns Thalions derzeitige Projekte in ihren verschiedenen Entstehungsphasen an, um schließlich in Jochen Hippels Programmier- und Komponierraum zu gelangen, wo der für einen Soundprogrammierer mehr oder weniger übliche technische Aufwand sein Dasein fristet: Synthesizer, Computer, Boxen, Monitore, Diskettengebirge, Kabeldschungel und -last but not least- Flaschen mit klebriger brauner Flüssigkeit. Nach einer Begutachtung der Gerätschaften gehe ich mit Jochen und Holger wieder in den kühlen Raum. Jochen und ich begeben uns in Interviewstellung, während sich Holger den Geschäften widmet, wenn auch nicht für besonders lang, wie sich bald herausstellen sollte.

Jochen Hippel wurde am 14. Oktober 1971 in Frankfurt geboren. Seine schulische Karriere unterbrach er 1988 nach der mittleren Reife für ein Jahr, um sein Hobby zum Beruf machen zu können - bei Thalion Software. Ob er die Schule nach diesem Jahr zwecks Abitur fortsetzen möchte oder nicht, wusste er bis zum Redaktionsschluss leider noch nicht zu sagen.

ASM: "Jochen, erzähl' uns doch einmal, wie Du zur Computerei gekommen bis, und warum Du Dich hier gerade für die Soundprogrammierung entschieden hast - das ist ja schließlich nicht der normale Gang der Dinge."

Jochen: "Nun ja, früher haben ich und ein paar Freunde zusammen am Computer gespielt - nur gespielt, und das ziemlich intensiv. Eines Tages fiel uns dann das Programm FRANTIC FREDDIE in die Hände. Das Spiel hatte einen Sound, der für die damalige Zeit einfach umwerfend war - wenn auch der Rest nicht so überragend rüberkam, haben wir es stundenlang gespielt, nur um alle Musiken gehört zu haben. Das war der Stein des Anstoßes für mich. Ich sagte mir, dass ich so etwas auch machen könne und müsse."

ASM: "Als Du mit der Computerei angefangen hast, hättest Du Dir jemals eine solche Laufbahn vorstellen können?"

Jochen: "Nein."

ASM: "Warum nicht? Okay, okay, war nur ein Scherz. Auf welchen Rechnern programmierst / komponierst Du so Deine Musikstücke? Welchen Rechner bevorzugst Du dabei?"

Jochen: "Mein derzeitiger Lieblingsrechner ist der ST. Ich denke, der ist oft verkannt worden, da er mehr kann, als man im Allgemeinen annimmt. Ich werde demnächst aber auch für andere Rechner Sounds machen. Eine Routine für den Amiga habe ich bereits geschrieben; die muss aber noch ein bisschen verbessert werden. Als weitere Projekte stehen der C-64 und ein weiterer Rechner an, der mir persönlich aber nicht so gefällt..."

Holger: "...aber eine Routine schreibst Du trotzdem; schließlich müssen auch die PC-Umsetzungen unserer Spiele Musik und Effekte haben."

Jochen: "Sound auf dem PC - da kriegst Du als Programmierer die Krise. Mit der Kiste kann man so gut wie nichts anfangen..."

Holger: "...Du schaffst das..."

ASM: "Ähm, falls ich mal stören dürfte, Jochen, stell' Dir vor, Du sitzt gerade so rum. Die Tür geht auf, Holger kommt rein und sagt, er braucht ein Musikstück für irgendein Spiel. Wie gehst Du dann vor, und wie sehr stimmst Du dabei die Musik auf das Spiel ab, für das sie bestimmt ist?"

Jochen: "Ein typisches Musikstück von mir ist nach einem recht einfachen (und allgemein gebräuchlichen) Schema aufgebaut. Meist fange ich mit einem Bass an. Auf den Bass kommen dann erst mal ein paar Drums, danach ein Arpeggio ("Blubbern") und dann schließlich die Melodie. Für die Melodien brauche ich allerdings immer am längsten, denn es ist gar nicht so leicht, etwas Passendes auf eine stehende Begleitung zu setzen. Dazu benutze ich dann meist den Synthi. Mit der Abstimmung auf das Programm ist das auch so eine Sache. Die Programmierer haben eigentlich immer eine Vorstellung davon, wie die Musik für ihr Programm werden soll. Ich versuche dann, deren Vorstellung so gut wie möglich umzusetzen. Manchmal muss ich mir allerdings auch selbst ein passendes Konzept zusammenschustern - dann dauert es eben ein bisschen länger. Ein Beispiel hierfür ist DRAGONFLIGHT, unser Rollenspiel, das demnächst erscheinen müsste."

ASM: "Aber wir wollen ja keine Werbung machen, oder? Wie lange brauchst Du so im Schnitt für ein Stück und wie lang ist das, wenn es fertig ist?"

Jochen: "Je nach Qualität des Stückes brauche ich so um die acht bis neun Stunden für eine Musik. Ich würde gern mal länger an einem Stück arbeiten, aber irgendwann muss ich ja auch fertig werden. Das längste Stück, das ich bisher gemacht habe, ist ca. acht Minuten lang, normalerweise werden es aber so drei bis vier Minuten. Wie gesagt, wenn ich mehr Zeit hätte..."

Holger: "...dann würdest Du wahrscheinlich nie fertig werden."

ASM: "Sieh an. Nächst Frage. In der Homecomputer-Musikszene stehst Du ja nicht ganz alleine da. Welche "Kollegen" kannst Du soundmäßig am besten leiden?"

Jochen: "Ganz klar: Die Nummer eins ist Rob Hubbard, wenn er auch in letzter Zeit sehr wenig zu tun hat. Jeroen Tels Musik gefällt mir auch sehr gut. Andere Leute wie Galway, Daglish, Matt Gray und Chris Hülsbeck sind natürlich auch nicht schlecht. Jeder hat nun mal seinen eigenen Stil. Leider befasst sich keiner von ihnen so richtig mit dem ST, so dass die meisten Routinen technisch nicht ausgereift genug sind."

ASM: "Du sprichst von ausgereiften Routinen. Programmierst Du eigentlich all' Deine Routinen und Editoren selbst, oder benutzt Du auch "Büchsenprogramme", die jeder User kaufen kann?"

Jochen: "Frei käufliche Musik-Anwendersoftware für den ST, d.h. Abspielroutinen und Editoren, taugt meist relativ wenig. Daher habe ich mir alle nötigen Routinen selbst geschrieben. Da weiss man zumindest, was man hat und wo Fehler stecken können. Außerdem kennt man die Fähigkeiten und Grenzen der Routine sehr genau und kann neue Ideen benutzfreundlich umsetzen, und vor allem so, dass man es selber versteht."

ASM: "Ja, das kann ich mir recht nützlich vorstellen. Was sagen eigentlich Deine Eltern so zu Deinem Job?"

Jochen: "Die finden's gut."

ASM: "Wenn Du nicht selber gerade Musik machst, was hörst Du so an bekannteren Interpreten und Musikern?"

Jochen: "Da wären hauptsächlich Jean-Michel Jarre, Chris de Burgh, Tina Turner, die Dire Straits und ein paar Sachen, die so in die Richtung gehen."

ASM: "Wie sieht's mit Deinen Hobbies aus? Ist Dein Beruf Dein Hobby?"

Jochen: "So könnte man es ausdrücken. Ich bin entweder am Computer oder am Synthi zu finden - halt bei der Arbeit."

ASM: "Stichwort "Arbeit" - beschreib' doch mal den Ablauf eines normalen Arbeitstages bei Thalion."

Holger: "Lass es sein, tu's ja nicht!"

ASM: "Na los, raus mit der Sprache!"

Jochen: "Naja, fangen wir mal so um Mitternacht, also Tagesbeginn, an. Von Mitternacht bis ungefähr zehn Uhr schlafe ich meistens. Danach geht's ins Schwimmbad, woraufhin in etwa eine halbe Stunde gearbeitet wird - bis es halt um 13 Uhr Essen gibt. Daraufhin (ca. 14 Uhr) dreht jeder seine Tagesrunde; d.h. er zeigt den Anderen, war er so am Vortag gemacht hat, sieht sich die Sachen der Anderen an, gibt Kommentare ab, etc. Und dann wird auch gearbeitet, meist so bis gegen 22 Uhr; manchmal aber auch nicht, und manchmal eben auch länger."

Holger: "Naja, so ungefähr stimmt das. Ich glaube, das kann man so schreiben."

ASM: "Hast Du nicht die Befürchtung, dass Dir für Deine Arbeit irgendwann die Ideen ausgehen?"

Jochen: "Das will ich doch nicht hoffen!"

ASM: "Was planst Du so für Deine Zukunft? Wirst Du Dein ganzes Leben lang nur Musik für Computerspiele von Thalion machen? Geht vielleicht die Schule irgendwann weiter?"

Jochen: "Das lass' ich ein wenig auf mich zukommen. Ich werde wohl irgendwann noch etwas in Richtung Informatik / Technik schulisch oder wie auch immer unternehmen, das Gymnasium ist mir dazu allerdings zu ätzend. Was die zweite Frage angeht: Ich mach' ja nicht nur Musik für Thalion, sondern auch über Thalion für z.B. Hewson."

ASM: "Okay, dann bleibt mir erstmal nichts übrig, als Dir und Thalion viel Erfolg für die Zukunft zu wünschen. Danke für das Gespräch!" Ulrich Mühl

(C) 1989 ASM Special Nr.6 , TRONIC-Verlag GmbH

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jochen Hippel - überflogen:
Er macht gerne Musik, mag AIRBALL, ARCHON, IK+, WARP, "Bannsänger" von Alan Dean Foster, große Calzone, große Griechenteller (und überhaupt alles, was groß und essbar ist), die Dire Straits, den "Little Shop of Horrors", Kirchheimbolanden (was immer das auch sein mag). Eins seiner Vorbilder ist Rob Hubbard, er bewundert Bach und mag Katzen. Er trinkt gerne Amaretto, Cola, Gunters Portugiesen & Riesling, hat schon lange keinen Urlaub mehr gemacht und möchte mal nach Amerika. Er steht auf Spiele mit guter Musik und hält die Erfindung des SID für die größte Leistung der Menschheit. Genossen hat er seine Schulzeit und hofft auf ein langes, lustiges Leben.