Ende eines Traums?

Seit mehreren Monaten hörte man die schlimmsten Gerüchte, was die finanzielle Lage von Thalion betraf. Die Firma sei knapp vor der Pleite und die Programmierer würden in Bälde einen anderen Arbeitgeber haben. Ende Oktober verließ Karsten Köper kurz nach Beendigung von Ambermoon Thalion, um sich bei Korona Soft einem geruhsameren Job zu widmen und dabei mehr Geld zu verdienen. Konnte man diesen Weggang noch als relativ unspektakulär einstufen, so versetzte uns die jüngste Nachricht aus dem Hause Blue Byte ins Staunen. Erik Simon und der Rest der Thalion-Entwicklungs-Crew wechseln nach Mülheim, wo sie spätestens Anfang Februar die Arbeit aufnehmen werden. Dies würde eigentlich den kreativen Tod von Thalion bedeuten, nachdem Anfang '93 auch schon das Team hinter Lionheart das Weite suchte. Noch konnten wir keine Stellungnahmen von Willi Carmincke oder Erik Simon einholen. (Amiga Games 2/94)

Lange Zeit galt Thalion als eine der innovativsten Firmen auf dem deutschen Softwaremarkt. Mit Produkten wie Warp, Lionheart oder No Second Prize schufen sie sich ein fabelhaftes Image. Doch nun steht das Ende von Thalion kurz bevor. Wir sagen Euch, warum!

Die Anfänge
Gegründet wurde Thalion im Jahre 1988 von Holger Flöttmann, der kurz zuvor Rainbow Arts verlassen hatte. Er gründete Thalion mit der Vision, technisch brillante Spiele von internationalem Standard zu produzieren. Warp, das erste Spiel, konnte mit einem für ST-Verhältnisse noch nie dagewesenen multidirektionalen Scrolling aufwarten, doch bis das Spiel endlich auf den Markt kam, war es schon längst überall als Raubkopie erhältlich. Die enorm hohen Entwicklungskosten wurden leider nie hereingeholt. Der nächste Meilenstein war das erste Mega-Rollenspiel aus Deutschland. Erik Simon werkelte mehrere Jahre an Dragonflight herum, was Thalion fast an den Rand des Ruins brachte, denn die laufenden Kosten konnten kaum gedeckt werden. Ein hervorragendes Image brachten zumindest Chambers of Shaolin und Wings of Death ein, die beide von Marc Rosocha (Eclipse) entwickelt wurden. 1991 verließ Holger Flöttmann schließlich Thalion, um mit Ascon einen neuen Start zu wagen.

Der zweite Start
Ende 1991 begann die zweite Periode von Thalion, die zumindest länger andauern sollte als die erste. Erik Simon übernahm die Entwicklungsleitung, während im Sommer 1992 Willi Carmincke als Geschäftsführer hinzustieß. Unter der Regie von Karsten Köper entstand eines der besten Rollenspiele aus deutschen Landen. Es war Amberstar, das sich auch toll verkaufte. Mit Airbus, einem Primitiv-Flugsimulator, landete man einen der größten Verkaufserfolge überhaupt, der die maroden Kassen deutlich aufbesserte. So konnte man sich es auch leisten, ein mäßiges Spiel namens Ghost Battle von einem unbekannten Programmierteam zu veröffentlichen. Henk Nieborg aus Holland und der Österreicher Erwin Kloibhofer, die für dieses Spiel verantwortlich waren, lieferten im Frühjahr 1993 das bis dahin beste deutsche Actionspiel ab. Lionheart hat sich bis zum heutigen Tage in den Charts gehalten. Während der Entwicklungszeit von Lionheart wurde auch eine ganze Menge Geld in die Entwicklung des neuen Rollenspielsystems und in No Second Prize gesteckt, was Thalion wieder finanzielle Probleme bereitete. Unzufrieden mit der Bezahlung verließen Henk Nieborg und Erwin Kloibhofer direkt nach der Beendigung von Lionheart die Firma, um kurze Zeit später mit Psygnosis einen Brötchengeber zu finden. Diesem Beispiel folgte auch Monika Krawinkel im Sommer und Karsten Köper im Oktober. Karsten Köper trat beim Softwareshop Koronasoft "einen Job mit weniger Stress und mehr Geld" an. Spätestens hier wunderte man sich in der Branche, was mit Thalion los ist. Als im Dezember 1993 auch noch ein Fax mit folgendem Inhalt eintraf, war die Sensation perfekt: "Erik Simon und das gesamte Entwicklungsteam gehen geschlossen zu Blue Byte". Thalion steht so nun plötzlich ohne Entwicklungsteam da, während auch Willi Carmincke seinen Job als Geschäftsführer zurückgab.

Die Zukunft
Mit Marco Hüssges trat mittlerweile ein neuer Geschäftsführer ans Werk, der die Firma komplett umstrukturieren will oder auch muss. Nach der einen oder anderen Fehlinvestition in Sachen Entwicklungsaufwand wurde nun die Entscheidung getroffen, nur noch mit freien Mitarbeitern zusammenzuarbeiten. Dies senkt das finanzielle Risiko auf ein Minimum und die Zuverlässigkeit gleich noch mit dazu. Eine neue Simulation vom Airbus-Autor steht kurz vor der Fertigstellung. Ob die jedoch jemals erscheinen wird, stelle ich hiermit in Frage. Ob für technisch veraltete Simulationen wie Airbus jedoch noch ein Markt vorhanden ist, ist zweifelhaft. Aller guten Dinge sind drei, somit wäre für die dritte Periode bei Thalion eigentlich alles klar. Doch ohne ein Entwicklungsteam nutzen auch Namen wie Lionheart oder die Amber-Saga nichts, denn wer sollte diese Spiele nun in der gleichen Qualität fortführen?

Erik Simon und sein Ambermoon-Team arbeiten mittlerweile an dem Rollenspiel Albion für Blue Byte. Eine Amiga-Version wurde zwar angefangen, ist jedoch nicht zu erwarten, da Blue Byte dem Amiga-Markt keine Chancen mehr einräumt.

Die Softographie
1989 Warp
1989 Seven Gates of Jambala
1989 Chambers of Shaolin
1989 Dragonflight
1990 Atomix
1990 Tower FRA
1990 Leavin' Teramis
1990 Enchanted Land
1990 A Prehistoric Tale
1990 Wings of Death
1991 Tangram
1991 Trex Warrior
1992 Ghost Battle
1992 Airbus A320
1992 Amberstar
1992 Magic Lines
1992 No Second Prize
1993 Lionheart
1993 Airbus A320 - USA-Edition
1993 Ambermoon

 

Das war einmal...
Eines der besten Entwicklungsteams aller Zeiten war im September 1993 bei Thalion vertreten. Mittlerweile ist von diesem Team niemand mehr übrig. Wir sagen Euch was mit ihnen passiert ist.

Erwin Kloibhofer: Der Programmierer von Lionheart ging bereits im Januar 1993 und arbeitet jetzt für Psygnosis.
Karsten Köper: Der Designer von den Rollenspielhits Amberstar und Ambermoon arbeitet nun bei Korona Soft.
Christian Jungen: Das Allroundtalent im Thalion-Team wechselt mit zu Blue Byte.
Monika Krawinkel:

Auf diesem Bild konnte Monika Krawinkel noch lachen. Aufgenommen wurde es im September 1992, als sie noch fleißig mit der restlichen Crew an Ambermoon bastelte. Sie gehörte zu den Grafikerinnen, die am längsten in der Branche dabei waren. Schon 1987 malte sie bei Rainbow Arts die Grafiken für Hits wie Bad Cat. Sie drängte niemals an die Öffentlichkeit, obwohl sie zweifellos die beste und hübscheste Grafikerin war, die dem Autor (Hans Ippisch) jemals begegnet ist. Im Sommer 1993 verließ sie Thalion als eine der ersten und widmet sich seitdem ihrem Baby und ihrem Ehemann. Vielen Dank für die wunderschönen Grafiken, Monika !

Thorsten Mutschall: Der Allroundgrafiker wechselte zusammen mit den anderen zu Blue Byte nach Mülheim.
Jurie Hornemann: Der zurückhaltende Programmierer von Ambermoon siedelte ebenfalls nach Mülheim über.
Henk Nieborg: Der holländische Grafikkünstler, der bereits Lionheart zum Hit machte, arbeitet nun auch für Psygnosis.
Michael Bittner: Der 3D-Routinen-Künstler und Programmierer von No Second Prize arbeitet als freier Programmierer.
Erik Simon: Der Entwicklungsleiter und Thalion-Oldie wechselte im Januar ebenfalls zu Blue Byte.

Quelle: AMIGA GAMES Sonderheft 1/94