... es geht doch!

Lange Zeit diktierten die amerikanischen und englischen Programmierer das Geschehen auf dem Software-Markt. Was aus Übersee oder von der grünen Insel herüberkam, galt als internationaler Standard, wurde oft auch kritiklos von den deutschen Usern aufgenommen. Es brauchte einige Jahre, bis auch die Franzosen ihre ersten Gehversuche unternahmen; mittlerweile haben auch sie sich auf dem Markt etabliert. Sehr, sehr zaghaft, beinahe schon ängstlich, entschlossen sich dann auch deutsche Programmierer, den Schritt ins Rampenlicht der Softwareszene zu wagen. Doch der Erfolg gab ihnen Recht, und schon bald entwickelte man ein neues Selbstbewusstsein. "Made in Germany" hat eine neue Bedeutung gewonnen, gilt wieder als Prädikat für ausgereifte, qualitativ hochwertige Produkte. Einer von denen, die den Durchbruch geschafft haben, ist Marc Rosocha, 22, der unter anderem die Chambers of Shaolin programmiert hat. Bernd Zimmermann und Torsten Oppermann haben sich mit ihm unterhalten.

Marcs erster Rechner war - tatsächlich - ein VC 20. Es folgte ein C-64, ein Atari XL gesellte sich hinzu, und heute nennt er einen Atari ST und einen Amiga sein eigen. Seine ersten Programme schrieb er anno '87, nachdem er vorher seine Ausbildung zum Industriekaufmann zugunsten einer Tätigkeit als Programmierer aufgegeben hatte. Als seine Hobbies nennt Marc Computer und Elektronik allgemein, Schlafen, Ausspannen und Faulenzen sowie (O-Ton Rosocha) "Grafiker in den Wahnsinn treiben".

ASM: Marc, Dein erstes namhaftes Programm entstand aus einer Zusammenarbeit als Freelance mit System 3. Doch Deine ST-Umsetzung von The Last Ninja wurde nie veröffentlicht. Was ist der Grund hierfür?

Marc: The Last Ninja entstand in Zusammenarbeit mit Klaus-Peter Plog und Lothar Becks. Als das Programm nahezu fertiggestellt war, kam es zu finanziellen Differenzen mit System 3, woran das Projekt letztlich scheiterte. Außerdem gab es anscheinend bei System 3 ein Leck, sodass eine fast fertige Version als Kopie in Umlauf gelangte. Daraufhin entschlossen wir uns, das Projekt aufzugeben.

ASM: Du hast als Cracker begonnen, aber schon bald das Lager gewechselt. Wie stehst Du heute zur Raubkopiererszene? Hast Du noch Kontakte; wie stellt sich das Problem des Kopierens aus Deiner heutigen Sicht dar?

Marc: Ich habe natürlich noch gute Kontakte zur Szene, habe aber meine eigenen Aktivitäten in dieser Richtung völlig eingestellt. Aus meiner heutigen Sicht muss ich ganz klar sagen, dass das Raubkopieren einen ziemlichen Schaden anrichtet und unfair gegenüber den Softwareentwicklern ist. Allerdings lehne ich die Methoden ab, mit denen manche Firmen Leute verfolgen, die "nur" für ihren persönlichen Bedarf Kopien angefertigt haben.

ASM: Nach Deiner Tätigkeit für System 3 bist Du bei Thalion eingestiegen. Was hat Dich daran gereizt, für eben dieses Softwarehaus zu arbeiten?

Marc: Thalion war ein Zusammenschluss der fähigsten Leute, die es zu diesem Zeitpunkt im 16 Bit-Bereich und vor allem auf dem Atari ST gab. Daher habe ich hier die beste Basis für die Entwicklung guter Software gesehen.

ASM: Wie sieht Dein Arbeitstag aus - ist er mittlerweile zu einem Acht-Stunden-Job geworden, oder kannst Du Dir die Zeit noch frei einteilen, mit allen Vor- und Nachteilen, die dies mit sich bringt?

Marc: Theoretisch ist es ein Acht-Stunden-Job, praktisch sieht es aber so aus, dass ich mein Hobby zu meinem Beruf gemacht habe und daher nicht so klar zwischen Arbeitszeit und Freizeit unterscheiden kann, da ich auch zu Hause oft nächtelang durchprogrammiere oder mir die neuesten Spiele anschaue.

ASM: Spiele zu programmieren bedeutet immer auch Termindruck. Oft leidet die Qualität der Produkte darunter, dass in der Endphase der Entwicklung schnell gearbeitet werden muss. Wie gehst Du mit diesem Problem um?

Marc: Auch bei uns ist in dieser Hinsicht in letzter Zeit nicht alles optimal verlaufen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Für zukünftige Projekte kommt es darauf an, den Zeitbedarf möglichst realistisch einzuschätzen und mögliche Fehlerquellen schon in der Planungsphase auszuschließen.

ASM: Dein zuletzt veröffentlichtes Programm war Chambers of Shaolin, das sich zu einem vollen Erfolg entwickeln konnte. Auf dem ST bietet das Programm einige völlig neuartige Special Effects, wie etwa das Scrolling des gesamten Screens in der Endsequenz und die ungeheuer hohe Anzahl der Farben. Dabei hat man doch immer geglaubt, der ST könne nur 16 Farben darstellen, Scrolling gar sei ohnehin nicht zu machen.

Marc: Was die Farben angeht ist es beim ST möglich, durch geschickt gesetzte Raster-Interrupts (eine Lieblingsbeschäftigung von mir!) und andere Tricks praktisch alle 512 zur Verfügung stehenden Farben gleichzeitig darzustellen, bzw. sogar die Zahl der zur Verfügung stehenden Farben bis auf viele Tausend zu erhöhen. Es liegt dann im Aufgabenbereich des Grafikers, diese Farben auch wirklich geschickt einzusetzen. Unmöglich war Scrolling auf dem ST noch nie. Es war aber bis vor kurzem ein Problem, absolut sauber zu scrollen und dabei noch größere Sprites zu bewegen. Wir haben allerdings jetzt eine Technik entwickelt - ich würde das Ganze mal als "softwaremäßiges Hardwarescrolling" bezeichnen - die es uns ermöglicht, den Bildschirm nahezu ohne Verlust von Rechenzeit in jede Richtung zu scrollen.

ASM: Auch was den Sound anbelangt, hat Chambers of Shaolin einiges zu bieten. So zum Beispiel Digi-Sound, gepaart mit programmierten Klängen. Wie hast Du das angesichts des relativ schlechten ST-Soundchips geschafft?

Marc: Die Qualität eines Computersounds hängt meines Erachtens mindestens genauso stark von den Fähigkeiten des Soundprogrammierers ab wie von den Möglichkeiten, die der Soundchip bietet. Und hier hat es sich wohl inzwischen herumgesprochen, dass unser Soundprogrammierer Jochen Hippel zumindest auf dem ST die Nr. 1 ist. Außerdem werden die Soundfähigkeiten des ST von vielen (noch) stark unterschätzt.

ASM: Warum entwickelst Du Deine Programme überhaupt auf dem ST und nicht auf dem Amiga, der die technisch besseren Möglichkeiten bietet?

Marc: Die angeblichen technischen Vorteile des Amiga sind ein Thema, über das man stundenlang reden könnte. Tatsache ist, dass sich der ST zur Software-Entwicklung deutlich besser eignet, da er über ein besseres Betriebssystem, augenschonendere Bilddarstellung und ausgereiftere Entwicklungssoftware verfügt. Darüber hinaus macht es mir einfach mehr Spaß, mit dem ST zu arbeiten und die höchstmögliche Leistung aus ihm herauszuholen.

ASM: Chambers of Shaolin ging für etwa 70 Mark über den Ladentisch. Ein Preis, der sich angesichts der Entwicklung in den letzten Wochen noch relativ harmlos ausnimmt. Dennoch aber für die Käufer schon ein stattlicher Betrag. Wieviel wärest Du bereit, für Chambers of Shaolin auszugeben? Wo würdest Du die Preisgrenze für Computerspiele prinzipiell ansetzen? Hierzu: Warum sind Amiga-Programme meist teurer als ST-Spiele?

Marc: Ich halte einen Preis von 50-70 DM für ein qualitativ gutes Programm für durchaus gerechtfertigt. Das Problem ist aber, dass auch viele Neuerscheinungen ziemlich schlecht sind und einen solchen Preis nicht rechtfertigen. Der Käufer sollte daher möglichst vorher einen Blick auf das Programm werfen, um nachher keine Enttäuschung zu erleben. Warum Amiga-Programme meist teurer sind, weiß ich auch nicht. Daran, dass sie besser sind, liegt es in der Regel zumindest nicht.

ASM: Die Grafiken von Chambers of Shaolin hat Günter Schmitz gezeichnet. Dies war das erste Mal, dass er sich als Grafiker eines kommerziell vertriebenen Programms betätigt hat. Allerdings ist bekannt, dass Günter selbst aktiv Kung-Fu betreibt. Ist hierin der Grund für die gelungene Animation der Chambers-Kämpfer zu sehen?


Shaolin Grafiker Günter Schmitz

Marc: Das ist sicherlich ein Aspekt. Ein anderer Grund dürfte sein, dass er sehr schnell erkannt hat, worauf es bei Computergrafik ankommt und wie man sie optimal gestaltet.

ASM: Du hast Dir inzwischen in Deutschland wie auch international einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. Sicherlich bist Du inzwischen zu einem Vorbild für viele Hobby-Programmierer geworden. Was würdest Du ihnen empfehlen?

Marc: Ich würde ihnen raten, möglichst viel Geduld aufzubringen und niemals zu glauben, dass sich ein gutes Programm von einem Tag zum anderen schreiben lässt.


Matthias Sykosch (C-64-Konvertierung von Chambers of Shaolin), Günter Schmitz und Marc Rosocha (v.l.n.r.)

ASM: Dein nächstes Programm wird ein Ballerspiel sein. Was kannst Du uns schon jetzt darüber verraten?

Marc: Da die Planungsphase noch nicht abgeschlossen ist und damit auch noch kein Name oder Erscheinungstermin feststeht, kann ich natürlich noch nicht allzuviel darüber sagen. Fest steht, dass es vertikal scrollen wird und sich vor den im Moment auf dem Markt befindlichen Shoot-em-ups nicht zu verstecken braucht.

ASM: Wir haben gerade die Jahreswende hinter uns gebracht. Welches waren Deine guten Vorsätze für das kommende Jahr? Was erhoffst Du Dir von dem neuen Jahrzehnt?

Marc: Ganz klar: Weniger Bugs in die Programme zu bringen!

ASM: In diesem Sinne: Vielen Dank für das Gespräch und auf weiterhin gute Programme!

ASM 2/90

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