Interview vom 15.04.2002

Erik "ES" Simon

 

Acht Jahre sind vergangen, seit Thalion vom Markt verschwunden ist. Wie ging es für Dich seitdem weiter ?

Nachdem Thalion aufhörte, haben einige Leute aus unserem Team einen Job in Gütersloh und Umgebung (wo auch Thalion seinen Firmensitz hatte) gefunden, meist jedoch außerhalb des Spiele-Business. Der größte Teil des Teams, mich eingeschlossen, wechselte zu Blue Byte. Dort arbeiteten wir an Albion, einem Rollenspiel, mit dessen Entwicklung wir bereits auf dem Amiga begonnen hatten, später jedoch auf dem PC fortsetzten. Chris Jungen, unser 3D-Zauberer (bekannt durch No Second Prize), entwickelte 3D-Routinen für verschiedene Spiele von Blue Byte. Nach einiger Zeit sind wir dann zur Blue Byte-Hauptniederlassung nach Mülheim (Ruhrgebiet) gezogen. Ich habe dort sieben Jahre lang als Spieldesigner, Grafikdesigner, Projektleiter und während der letzten zwei Jahre als Leiter der Spielentwicklung gearbeitet. Außer an Albion habe ich noch an Extreme Assault und einigen anderen Blue Byte-Spielen mitgearbeitet. Des weiteren habe ich, in Bezug auf die Projektleitung, an der Fertigstellung von Die Siedler III mitgeholfen. Ende 2000 habe ich Blue Byte verlassen und arbeite jetzt als Leiter der Spielentwicklung bei JoWooD. Was mein Privatleben angeht, so habe ich eine Frau kennengelernt, die mir sehr viel bedeutet und die ich einige Jahre später geheiratet habe.

Was hast Du als einer der Mitbegründer von Thalion empfunden, als Euer Softwarehaus die Spielentwicklung einstellte ? War es eine schwierige Zeit oder warst Du darauf vorbereitet ?

Obwohl es tatsächlich eine schwierige Zeit war, sind keine unangenehmen Gefühle aus dieser Zeit zurückgeblieben. Ich bin gut darüber informiert gewesen, was bei Thalion los war. Dies verschaffte mir Zeit, um mich mit anderen interessierten Entwicklern bzw. Publishern in Verbindung zu setzen und um dem Team für die Zeit nach Thalions Untergang Alternativen anbieten zu können.

Wir geben zu, dass wir Lionheart sowohl für eines der großartigsten Plattform-Spiele halten, das jemals realisiert wurde, als auch für eines der umfangreichsten (wenn nicht sogar das umfangreichste) Computerspiele der letzten zehn Jahre. Unserer Meinung nach blieb die Technik, mit der die Animationen, das Grafikdesign der Umgebung und die Farben dargestellt wurden, selbst in der Spielhalle unerreicht. In anderen Worten: Wie hat es Thalion geschafft, so eine große Menge elektronischer Kunst zu schaffen ? Bei der Entwicklung des Spiels warst Du als Spiel-Designer beteiligt, richtig ?

Das ist richtig. Ich war verantwortlich für das Spieldesign und habe des weiteren alle Level entworfen. Es ist immer noch eines der Projekte, auf die ich sehr stolz bin. Ich bin nach wie vor dafür dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, bei Lionheart mit Erwin Kloibhofer als Hauptprogrammierer und Henk Nieborg, dem besten Pixel-Künstler, den ich je getroffen habe, zusammen zu arbeiten. Zusammen mit Michael Bittner, der einige eindrucksvolle Routinen wie beispielsweise die Zoom-Routinen des Intros und das 3D-Scrolling beisteuerte, und dem unglaublichen Soundtrack von Matthias Steinwachs war Lionheart eines der seltenen Projekte, bei dem einfach alles perfekt zusammen passte.

Die Parallax-Level waren buchstäblich reichlich vorhanden und pushten den Amiga über die vom Prozessor vorgegebenen Grenzen hinaus. Mit welchen Tricks habt ihr gearbeitet um diese Datenmasse in den Speicher eines Amiga 500 zu quetschen ?

Eine Programmierung wie bei Demos war hierfür überraschenderweise kaum nötig. Erwin und Michael waren einfach sehr erfahrene 68000-Programmierer, die genau wussten, was sie taten. Wenn ich nicht irre, wurde ein Großteil der Routinen von Lionheart, bei denen die Verarbeitungsgeschwindigkeit von untergeordneter Bedeutung war, sogar in C geschrieben.

Hinsichtlich der gleichzeitig gezeigten Farben - wie hast Du es geschafft, so viele Farben gleichzeitig auf dem Bildschirm zu bringen ? Es heißt, es wären über 600 Farben gleichzeitig, kannst Du das bestätigen ?

Nun, wir haben die Farben wirklich nicht gezählt. Es war wieder einmal eine einfache Idee: Anstatt Farbübergänge mittels der Copper-Liste nur für den Hintergrund zu verwenden, schlug ich vor, diese auch für die Vordergrund-Grafiken zu verwenden. Es kommt einfach darauf an, die richtigen Farbtabellen zu verwenden und nur eine Farbe gleichzeitig zu ändern, damit das Auge die horizontalen Farbwechsel nicht mitbekommt.

Die Musik ist genau so großartig wie die Grafik. Kannst Du uns sagen, wer sie komponiert hat ?

Matthias Steinwachs war für die Musik verantwortlich. Er hatte zu der damaligen Zeit bereits sehr viel Erfahrung und war in der Lage, einen sehr orchestralen Sound zu produzieren, der wenig Speicherplatz benötigte.

Wärt ihr in der Lage gewesen, Lionheart für andere 16 Bit - Systeme wie das Megadrive oder Super NES zu konvertieren ? Welche Limits hätten euch diese Systeme gesetzt ? Habt ihr jemals daran gedacht, etwas für Spiele-Konsolen zu entwickeln ?

Wir wären sicherlich in der Lage gewesen, Lionheart für Spiele-Konsolen umzusetzen, wir waren jedoch eine Firma, die sich sehr auf Homecomputer konzentrierte und weder Erfahrung mit der Programmierung von Konsolen noch die nötigen Verbindungen zur Industrie besaß. Erwin und Henk haben nach ihrer Zeit bei Thalion für Psygnosis Spiele auf dem Mega Drive entwickelt.

Was waren Deiner Meinung nach die größten Vorzüge des Amigas ? Bist Du der Meinung, dass der Tod des Amigas durch Raubkopien beschleunigt wurde ? Hatte die Softwarepiraterie Auswirkungen auf Thalions Überleben ?

Der Amiga war der beste Homecomputer seiner Zeit und hat uns wundervolle Möglichkeiten geboten kreativ tätig zu werden, ohne uns um die Beschränkungen und die höheren finanziellen Risiken des Konsolenmarktes kümmern zu müssen. Der Nachteil war jedoch ganz klar die Softwarepiraterie, die ein Hauptgrund für Thalions Ende war. Nun, wir waren in finanziellen Dingen zwar nicht völlig unfähig, aber wären wir bessere Geschäftsleute gewesen, hätten wir vielleicht trotzdem überlebt. Es war halt einfach eine Tatsache, dass sich Spiele hoher Qualität auf diesem Computer nicht mehr in ausreichenden Stückzahlen verkauften.

Hat euch die Polygon-Engine von No Second Prize Probleme bereitet ? Dafür, dass das Spiel vollständig aus Polygonen bestand, bewegte sich alles extrem flüssig und schnell. Meinst Du, Ihr habt den Amiga im Bereich 2D- und 3D-Grafik voll ausgereizt ?

NSP hatte eine wundervolle 3D-Engine. Chris Jungen hat an ihr jahrelang gearbeitet, wobei er jeden Teil der Engine wieder und wieder überarbeitete. Auf einer Amiga-Messe mussten wir ein Schild mit der Aufschrift "Läuft ohne Turbo-Karte !" aufstellen, weil wir die fragenden Leute langsam leid waren. Ich denke wirklich, dass wir alles gemacht haben, was man auf normalen und moderat beschleunigten Amigas dieser Zeit machen konnte. Denk nur an die mit Texturen überzogenen 3D-Dungeons in Ambermoon.

Thalion hat aber auch dem Atari ST viel zu verdanken, auf dem viele Spiele entwickelt wurden. Könntest Du uns die Hardwareunterschiede zwischen Amiga und Atari ST erläutern, sofern dies möglich ist ? Auf welcher Plattform war das Programmieren einfacher ?

Wir waren auf dem ST sehr engagiert, weil unsere Wurzeln in der ST-Demoszene lagen. Während Thalions ersten Jahren haben wir auf dem ST sogar noch mehr technische Tricks vollbracht als später auf dem Amiga. Wir haben aber auch gelernt, dass sich die Leute anscheinend nicht so sehr für unsere Programmiertricks interessierten. Obwohl wir immer versuchten, uns auf das Gameplay zu konzentrieren, haben die technischen Tricks manchmal zu viel Entwicklungszeit gekostet. Überraschenderweise waren die Unterschiede zum Amiga auf dem Niveau unserer ST-Programmierung nicht mehr so groß.

Mit Ambermoon wurde praktisch ein neuer RPG-Meilenstein gesetzt. Die Fusion von zweidimensionaler Umgebung und Dungeons in 3D zeigte einmal mehr Thalions Können auf dem Amiga. Was kannst Du kurz über die Entwicklung dieses Spiels erzählen ? Es heißt, die dreidimensionalen Routinen wären am Anfang auf dem Atari ST entwickelt worden. Stimmt das ?

Das ist richtig. Sie liefen zuerst auf dem ST. Michael Bittner hat später ein paar Blittertricks entwickelt, die die Routinen auf dem Amiga ziemlich beschleunigten.

Im Jahr 1994, dem letzten Jahr von Thalion, wurde das Beat'em Up "X-Fighter" angekündigt. Dieses Spiel wurde nie veröffentlicht. Wärest Du so nett, uns ein paar Informationen über diesen Titel zu geben ? Warum wurde die Entwicklung eingestellt ?

Offen gesagt, habe ich keinen blassen Schimmer von dem Spiel. Ich war daran nie beteiligt. Die einzige Vermutung, die ich anstellen könnte, wäre, dass unser Büro in England diesen Titel zum Zeitpunkt unseres turbulenten Untergangs vielleicht vertreiben wollte.

Welches Spiel spielst Du für gewöhnlich ? Gibt es ein Videospiel, das Du vorziehst ?

Ich bevorzuge nach wie vor RPGs, obwohl ich nur noch schwer Zeit habe, sie zu spielen. Normalerweise werfe ich nur einen kurzen Blick auf die Neuerscheinungen. Auf den Spielkonsolen hat mir Mario 64 sehr gefallen.

Welches Spiel hat Dir im Laufe Deiner langen Karriere als Programmierer / Designer am meisten gefallen ?

Die Lieblingsspiele, an denen ich gearbeitet habe, sind Dragonflight, Wings of Death, Trex Warrior, Lionheart, Ambermoon, Albion und Extreme Assault.

Für welches Softwarehaus arbeitest Du zur Zeit ?

Im Moment lebe ich in Österreich und arbeite als Head of Development für JoWooD Productions. Es ist ein börsennotiertes Unternehmen, welches einige der erfahrendsten Studios in den deutschsprachigen Gebieten, wie beispielsweise Massive Development (Aquanox), besitzt. Wenn man alle internen Studios zusammennimmt, sind wir über 100 Entwickler.

Lass uns jetzt mal das Thema wechseln. Wir würden gerne ein wenig mehr über Dein Privatleben erfahren. Was hast Du für Hobbies ?

Hier gibt es nichts ungewöhnliches: Ich koche, lese und reise gerne und fahre gern mit meinem Motorrad. Ich male von Zeit zu Zeit in Öl - aber nicht annähernd so oft, wie ich eigentlich möchte. Ich genieße ein gutes Essen, einen guten Wein, eine edele Zigarre und einen Scotch - bevorzugt in der Gesellschaft meiner Frau und alter Freunde.

Du bist gerade von der GDC in San José zurückgekommen. Würdest Du uns freundlicherweise Deine Eindrücke von diesem Event schildern ?

Es war dieses Jahr eine gute GDC für mich - keine durchschlagenden neuen Ideen, aber viele gute Ideen für die alltäglichen Entwicklungsprobleme. Die Produktionsmethoden der Softwareindustrie reifen langsam. Um noch bessere Spiele machen zu können, müssen wir in langweiligen Dingen wie Projektmanagementprozessen besser werden.

Bevor wir zum Abschluss kommen noch eine Frage: Würdest Du einen Lionheart-Nachfolger für Spielkonsolen entwickeln, wenn Du die Möglichkeit dazu hättest ?

Oh ja, sehr gern. Ich befürchte allerdings, dass sich nur die Hardcore Old-Timer wirklich an Lionheart erinnern, so dass es keine Marke ist, die stark genug wäre, um eine Fortsetzung zu rechtfertigen, die für die Entwicklung auf Next-Generation-Konsolen ein Multi-Millionen-Dollar Budget benötigt.

Okay Erik, das wars. Wir danken Dir für Deine Zeit und Deine freundlichen Auskünfte und wünschen Dir alles Gute. Vielleicht trifft man sich mal - wenn Thalion Software wiedereröffnet wird :-).

Danke, dass Du mir mit dem Interview diese schönen Erinnerungen wieder ins Gedächtnis gerufen hast.

Das Interview mit Erik Simon wird mit freundlicher Genehmigung von http://www.retrogaming.it verwendet.
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