Die Genese eines Rollenspiels - Dragonflight von Thalion


In den vergangenen Monaten haben Sie vielleicht schon desöfteren ein bestimmtes Spiel durch die Previewspalten der deutschen Computerpresse geistern sehen. Die Rede ist hier von DRAGONFLIGHT, einem deutschen Rollenspiel. Die Geschichte dieses Programmes lohnt sich, erzählt zu werden, enthält sie doch vieles, was eine gute Story beinhalten sollte: Leidenschaften und Konflikte, Verzweiflung und Triumph! Begonnen hat alles mit der Computerbegeisterung zweier, nun nicht mehr ganz so junger, Menschen: Udo Fischer, 24, seines Zeichens Beherrscher der Maschinensprache und der Schreiber dieser Zeilen und Erik Simon, 25, Computergraphiker aus Leidenschaft.

Ein Spiel sollte geschrieben werden! Da saßen wir also und überlegten, welche Art von Spiel unser Erstlingswerk denn nun sein sollte. Technisch waren wir, d.h. besonders Udo, gut gerüstet. Einige unserer Demoprogramme für den ST sind dem geneigten User vielleicht im Gedächtnis geblieben... So hätte sich also ein schnelles Actionspiel angeboten, ein Shoot-'em-up vielleicht. Doch Udos und meine Begeisterung galt seit jeher einem anderen Genre der Computerspiele, dem Rollenspiel. Wir waren begeisterte Fans der Ultima-Serie und anderer Rollenspiele auf dem C-64, so fassten wir also den Gedanken, den amerikanischen Jungs mit einem selbstproduzierten Rollenspiel ein wenig auf die Finger zu klopfen. Die Grundidee war also geboren, wir brauchten nur noch einen würdigen Rahmen, um diesen Entschluss zu zementieren. An jenem Abend im Januar 1987 begaben wir uns in ein italienisches Restaurant namens "Pfalzperle" und aßen feierlich eine Pizza auf die Geburt unseres Rollenspiels! Wie sollten wir damals wissen, was durch diesen Schritt alles auf uns zukommen würde. In rührender Naivität setzten wir die Zeit für die Komplettierung des Projektes auf ein- bis anderthalb Jahre fest. Schade, dass Sie nicht sehen können, wie ich mir beim Schreiben dieses Satzes vor die Stirn gehauen habe. Schließlich war Udo zu dieser Zeit Student und meine Wenigkeit verrichtete gerade den Zivildienst in einem Krankenhaus. Zu sagen, wir hätten den Arbeitsaufwand für Dragonflight unterschätzt, ist, als wolle man einen Ozean mit dem Begriff "feucht" umschreiben. Nichtsdestotrotz malte ich noch an diesem Abend die ersten Bäume für die Oberflächenlandkarte von Dragonflight, diese Map war der erste Programmteil, den wir in Angriff nahmen. In der folgenden Zeit begann ich zu ahnen, was alles zu einem wirklich guten und komplexen Rollenspiel gehört, denn mein Aufgabenbereich erstreckte sich nicht nur über das Erstellen aller Graphiken, sondern auch das Ausdenken der Hintergrundgeschichte, der Personen, des Spielablaufs, der Punktesysteme, Waffen- und Rüstungswerte, Zaubersprüche, Tränke, Gegenstände, Dungeon- und Stadteinrichtungen, Völker, Monster und weiß-der-Gott-aller-Rollenspieler noch alles, was zu einem solchen Projekt gehört. Dann und wann inspiriert von einem "realen" Rollenspiel mit den Zivi-Kollegen, nahm die Hobby-Arbeit an Dragonflight ihren Verlauf. Eine Fantasy-Spielwelt mit fünf verschiedenen Völkern (Menschen, Elfen, Zwergen, Orks und Drachen), diversen Monstern und einer eigenen Historie nahm Gestalt an. Daraus konnte nun eine Aufgabe für die Spieler entwickelt werden, die "Quests", in der es um verlorengegangene Magie, das Verschwinden der Drachen und um die daraus entstehenden Folgen für alle Völker geht. Dazu eine Anmerkung für den erfahrenen Rollenspieler: Es muss kein böser Zauberer oder Herrscher erschlagen werden! Bald konnte man in der Vogelperspektive der Map Grasebenen, Wälder, Sümpfe, Seen und vieles mehr erkennen. Udo tüftelte noch an einer "Schattenwurfroutine" herum, die es dem Spieler nicht erlaubt, über hohe Berge hinwegzusehen, da nahm ich die Graphiken für die Dungeons in Angriff. Im Herbst '87 waren auch hier die ersten Erfolge zu verzeichnen, wir konnten durch unsere eigenen 3-D-Labyrinthe gehen, noch ohne alle "Einrichtungsgegenstände" wie Türen, Fackeln, Treppen, Teleporter etc., aber immerhin. Das erste Jahr im Zeichen von Dragonflight neigte sich langsam dem Ende zu, und die wichtigsten Graphikausgaberoutinen waren fertig: Die "Map" und der Dungeon wurden dargestellt. Unseren Soundprogrammierer Jochen Hippel hatten wir auch schon kennengelernt, obwohl es für ihn in diesen frühen Tagen noch nicht viel zu tun gab. Zu dieser Zeit begann sich auch eine Softwarefirma für unser Rollenspiel zu interessieren. Einige Telefonanrufe führten bald zum Besuch des jungen Geschäftsführers eines kleinen Unternehmens, das eigenständig agierte, seine Produkte jedoch über eine Düsseldorfer Firma vertreiben wollte. Anfängliche Gespräche erweckten in uns den Eindruck, es mit einem fairen und professionellen Partner zu tun zu haben. Im Laufe der folgenden Monate begannen wir beiden Hobbyisten allerdings, ein wenig hinter die Kulissen der "professionellen" Softwareszene zu schauen. Und es stellte sich leider heraus, dass viele der gemachten Versprechungen nicht mit den tatsächlichen Handlungsweisen übereinstimmten. Und so kam es, dass ein gutes Jahr nach dem Kennenlernen dieser Firma die Zusammenarbeit im Sande verlief. Ungeachtet dessen ging jedoch die Arbeit an unserem Projekt weiter. Ich hatte mir die im Spiel vorkommenden Monster ausgedacht und ging nun daran, die lieben Tierchen und reizenden Untoten zu malen und animieren. Da der Kampfbildschirm von Dragonflight aus der Seitenperspektive zu sehen ist, sind sowohl die Charaktere des Spielers als auch ihre Gegner "in voller Größe" zu zeichnen und erfordern viele Bewegungsphasen, um ein zeichentrickartiges Ablaufen des Kampfgeschehens zu gewährleisten. Da Dragonflight über 15 Monsterarten in verschiedenen Stärken beinhaltet, machte uns der Kampfbildschirm ganz schön zu schaffen. Im Sommer '88 waren Hintergrundgraphiken, Animationen und Grundroutinen für den Kampf fertig, aber das Schlimmste sollte uns noch bevorstehen...

Wie es sich für ein aufwendiges Rollenspiel gehört, stehen dem Spieler in Dragonflight eine Vielzahl verschiedener Waffen und Zaubersprüche zur Verfügung. Da der Kampfbildschirm nun schon so detailreich dargestellt wird, müssten ja eigentlich jede Waffe und jeder Zauberspruch unterschiedlich aussehen, nicht wahr? Gesagt, getan! Ich malte Dutzende von kleinen und großen Waffen sowie Kampf-Zaubersprüche aller Art. Nun musste aber jede dieser Waffen jeder Animationsphase jedes Spielers und eventuell einiger Monster angepasst werden. Sicherlich können Sie sich vorstellen, was für eine Arbeit das war! Ich sage dazu nur noch eins: Mein Psychiater hat sich ein Ferienhaus am Bodensee gebaut und ein Corvette-Cabrio gekauft; Udo hat ein Gelübde abgelegt, sich nie mehr zu rasieren; ich weiß bis heute nicht, wie wir unsere geistige Gesundheit, wenn auch nur einigermaßen, erhalten konnten. Der Kampfbildschirm, der am meisten unterschätzte Programmteil, hat uns jedenfalls bis Anfang dieses Jahres mit Arbeit versorgt. Unterdessen hatte sich wenigstens das Problem der Vermarktung von Dragonflight gelöst. Nach dem Motto "Du kannst nicht unzufrieden mit einer Firma sein, die Du selber gründest" beteiligten sich Udo und ich an der Entstehung von THALION in Gütersloh. So weit hat unser Rollenspiel zumindest mich gebracht: Das Hobby wurde im Sommer '88 zum Beruf. Im Interesse von Dragonflight war dies allerdings auch dringend notwendig. Abgesehen von einigen anderen Spielen, in denen ich meine Finger hatte und habe, tauchten nun nämlich die arbeitsintensiven Dinge auf, an die anfänglich niemand dachte. All unsere Städte, über zehn an der Zahl, wollten mit Personen bevölkert werden. Jede von ihnen musste etwas Vernünftiges von sich geben, auch wenn dabei keine für den Spieler nützliche Information zum Vorschein kommt. Nach vielen Wochen Denk- und Schreibarbeit ist der Text für die Städte auf über 100 KB angewachsen. Außerdem gibt es da noch zehn Dungeons mit jeweils bis zu 14 trickreichen Levels. Rätselmünder stellen knifflige Fragen, Schätze und Monster mussten sinnvoll über die Räume der Labyrinthe verteilt werden. Nicht zu vergessen sind bei alledem die animierten Sequenzen, die das Spiel bereichern sollen. Am Anfang und Schluss, sowie bei wichtigen Stellen der Spielhandlung untermalt eine kleine "Zeichentrick"-Einlage das Geschehen. Da gibt es den alten Lehrmeister der vier Charaktere, die man im Spiel führt; er kann sich eine kleine Ansprache nicht verkneifen. Ein verwunschener König ist ebenso dabei, wie ein geldgieriger Magier. Die Sequenz eines befreiten Einhorns wird einiges aus Ihrem Computer herausholen, versprochen! Das Malen dieser Bilder und Animationen begleitete die Arbeit an Dragonflight von Anfang an. Selbst heute, da ich diese Zeilen schreibe, fehlt noch die Endsequenz, die den erfolgreichen Spieler am Schluss seiner Suche belohnen soll. Nun, da unser Rollenspiel kurz vor seiner Vollendung steht, stecken wir ganz in den zeitraubenden Detailarbeiten, die den Wert eines großen Projektes wie Dragonflight ausmachen. Der Dialog mit Stadtbewohnern wird programmiert, Schiffahrt über die Meere wird möglich gemacht und was der Dinge mehr sind. Mittlerweile greifen unsere Freunde Gunter Bitz und Michael Raasch beim Endspurt dem Hauptprogrammierer Udo unter die Arme. Diese Tatsache hat mich zwar etwas betrübt, da ich jetzt wieder zwei dieser Portraits malen darf, aber was tut man nicht alles für seinen Veröffentlichungstermin...

Rückblickend auf die zweieinhalb Jahre der Entstehung dieses Programms lässt sich sagen: Es hat sich gelohnt. Nicht nur die Erfahrung, ein Programm dieser Größenordnung als reines Hobby begonnen und zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht zu haben, war wertvoll. Zum einen hat die Arbeit schlicht und ergreifend Freude gemacht. Zum anderen war für mich persönlich, und für viele meiner Freunde und Bekannten, Dragonflight und andere Projekte der Anstoß, aus ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung einen Beruf zu machen - ein Entschluss, den ich nicht bereut habe. Viele Menschen suchen lange nach einer Aufgabe, die ihnen Spaß macht, und mit der man trotzdem einen passablen Lebensunterhalt verdienen kann. Auch wenn ich täglich mit Wahnsinnigen zu tun habe (siehe Fotos) und der Arbeitstag selten nach acht Stunden vorüber ist; das Ausdenken und Produzieren von guten Spielen ist die bei weitem erfüllendste Beschäftigung, der ich bislang nachgegangen bin. Die Veröffentlichung von Dragonflight ist für den Spätherbst dieses Jahres geplant. Wir warten gespannt auf die Resonanz von den Spielern. Sollten Sie also in einigen Monaten zu den Dragonflight-Spielern gehören, so lassen Sie uns Lob, aber vor allem Kritik zukommen; denn eins haben wir uns vorgenommen: Das nächste Rollenspiel wird noch besser!

Udo Fischer / uli (ASM Special Nr. 6)