Innovationen "Made in Germany" · Retro-Gaming: Spielehersteller Thalion

Viele Spielehersteller prägten den Amiga-Markt zu seiner Blütezeit und standen für das Motto "Qualität aus deutschen Landen". Dem Gütersloher Unternehmen Thalion blieb der Durchbruch jedoch verwehrt. Lesen Sie, warum Thalion dennoch heute als die beste aller deutschen Amiga-Spielefirmen gilt.

von Jürgen Beck

Zu einer Zeit, als es noch kein AmigaOS 4 und MorphOS gab, tummelten sich Amigianer auf anderen Kriegsschauplätzen. Bevorzugtes Angriffsziel waren seinerzeit die Atari ST-User. Die Mitglieder verschiedener Demo-Gruppen im Raum Gütersloh, darunter "The Exceptions" und "The Care Bears", zeigten am Konkurrenzkampf jedoch kein Interesse. Sie beschlossen eine Software-Firma zu gründen und beide Plattformen mit hochwertigen Spielen zu beliefern - obwohl sie eingefleischte Atari-Fans waren!

Das war 1988, als Erik Simon und Holger Flöttmann gemeinsam die "Thalion Software GmbH" ins Leben riefen. Als man 1989 die große Bühne betrat, veröffentlichte man mit dem Beat'em Up Chambers of Shaolin das erste Meisterwerk. Fantastische Grafiken, eine raffinierte Steuerung und ein legendärer Hippel-Soundtrack hielten die 16 Bit-Welt in Atem und brachten den Jungs und Mädels von Thalion die ersten Awards ein. Im selben Jahr wurde außerdem noch das niedliche Game The Seven Gates of Jambala veröffentlicht, sowie mit Warp ein eher durchschnittlicher Shooter mit sauberem Acht-Wege-Scrolling.

Aufgrund der Erfahrungen, die man im Laufe der Jahre in der Demoszene gesammelt hatte, verfügte man von Beginn an über das notwendige Know-how. Talentierte Programmierer wie Marc Rosocha oder Michael Bittner wussten genau, wie sie die Hardware an ihre Grenzen treiben konnten. Sie zauberten Routinen aus dem Ärmel, die man nicht für möglich gehalten hatte und brachen dabei etliche Rekorde. Beim Shoot'em Up Wings of Death etwa waren stellenweise bis zu 95 bewegte Objekte gleichzeitig auf dem Bildschirm unterwegs. Das wunderschöne Rollenspiel Ambermoon glänzte hingegen als erstes kommerzielles Amiga-Spiel mit texturierten 3D-Dungeons.

  • Audiovisueller Genuss

Neben großartigen Grafikern wie Monika Krawinkel oder Günter Schmitz war mit Gründungsmitglied Erik Simon ein wahres Multitalent am Start. Simon verstand sich nicht nur auf das Pixeln wunderschöner Grafiken, in ihm schlummerte auch der perfekte Game-Designer. Die meisten Spielkonzepte entsprangen seiner kreativen Ader oder wurden von ihm ausgearbeitet. Ebenso boten Thalion-Spiele erstklassige Musikuntermalung. Verantwortlich dafür war ein junger Mann namens Jochen Hippel. Der langhaarige Musikus entlockte nicht nur dem ST-Soundchip unglaubliche Klänge. Seine Melodien begeisterten auch die Amiga-User. Unvergessen sind seine Stücke für das Spiel Wings of Death oder das Rollenspiel Dragonflight. Heute gilt Jochen Hippel neben Chris Hülsbeck (u.a. Rainbow Arts) als bester deutscher Amiga-Musiker.

  • Auf dem Weg nach oben

Ein Jahr später griff man bereits nach den Sternen. Mit dem Mammut-Projekt Dragonflight veröffentlichten die Ostwestfalen das bislang beste deutsche Rollenspiel. Wings of Death eroberte den Thron der Ballerspiele aufgrund überragender Technik und perfektem Balancing. Dazu gesellten sich immer wieder kleine, aber feine Games wie das Denkspiel Atomix oder Leavin' Teramis, welches übrigens von Jochen Hippel programmiert wurde. In beeindruckende 3D-Welten entführte 1991 das Actionspiel Trex Warrior, das hochspannende und fordernde Gefechte in Arenen der Zukunft bot.

Auf das große Geld wartete man in Gütersloh jedoch vergeblich. Die Titel verkauften sich zwar gut, aber längst nicht so erfolgreich wie es der Qualität entsprochen hätte. Der Marketing-Abteilung kann man nur bedingt Vorwürfe machen, denn die Anzeigen stachen immer sofort ins Auge und enthielten witzige Ideen. Wunderschöne Cover-Motive zierten die Pappschachteln, die alle im selben Look mit abgerissenem Thalion-Logo am unteren Rand im Verkaufsregal sofort zum Blickfang wurden. Lag es also wieder einmal nur an den Raubkopierern oder wurde das spielerische Potenzial zu diesem Zeitpunkt nicht erkannt?

Den Lohn für das unermüdliche Schaffen ernteten die Mannen um Erik Simon 1992. Ab in die Lüfte ging es mit dem legendären Flugsimulator A320 Airbus des Piloten Rainer Bopf. Dieses Spiel wurde ein überwältigender Verkaufserfolg für das noch junge Unternehmen und spornte sie zu weiteren Projekten an. Mit No Second Prize durften motorradbegeisterte Amiga-User über anspruchsvolle Pisten brettern, die in höllisch schneller Vektorgrafik dargestellt wurden. Die grandiose Spielbarkeit dieser Simulation ist bis heute auf dem Amiga unübertroffen. Einen weiteren Rollenspielkracher präsentierte man mit dem legendären Amberstar, das Komplexität und spielerische Tiefe mit leichter Zugänglichkeit und einer faszinierenden Story würzte.

  • Verstärkung aus dem Nachbarland

Im darauf folgenden Jahr schlug die Stunde von Erwin Kloibhofer und Henk Nieborg. Der österreichische Programmierer und der Grafiker aus Holland hatten bereits 1991 mit dem Actionspiel Ghost Battle ein Spiel veröffentlicht, das allerdings kaum Aufmerksamkeit erregte. Mit ihrem neuesten Werk wollte das Duo ins Rampenlicht rücken. Ein Action-Feuerwerk sollte es werden, grafisch und technisch alles in den Schatten stellen und auch spielerisch von den Sitzen reißen. Und sie sollten Recht behalten. Lionheart hieß das Spiel, das ungläubiges Staunen in den Reihen der Amiga-Nutzer hervorrief. Hunderte von Farben zauberte man auf den Schirm, wunderschöne Wolkenformationen zogen in feinstem Parallax-Scrolling vorbei und bombastische Orchestermusik donnerte aus den Lautsprechern. Dazu enthielt das Game-Design jede Menge Abwechslung und die verzweigten Level boten viel Raum zum Experimentieren. Weiterhin stagnierende Verkaufszahlen, ein langsam untergehender Amiga-Stern und der nach wie vor viel zu hohe Anteil an Raubkopien zwangen Thalion zu einem ungewöhnlichen Schritt. Die Verkaufsversion von Lionheart wurde nicht mit einem Kopierschutz versehen. Man appellierte an die Ehrlichkeit der Amiga-User. Wer weiterhin Spiele von Thalion auf dem kultigen 16 Bit-Rechner sehen wollte, solle sein Geld in das Spiel investieren und nicht in Leerdisketten. Gebracht hat dieser Versuch leider nichts.

Gegen Ende des Jahres 1993 wurde mit Ambermoon noch der zweite Teil der ursprünglich auf drei Teile ausgelegten Rollenspielsaga veröffentlicht. Im wohl besten Amiga-Rollenspiel aller Zeiten erkundete man erneut die Welt von Lyramion und erlebte über Wochen hinweg fantastische Abenteuer. Wiederum gelang es den Entwicklern, technisch neue Wege zu beschreiten. Auf einen Kopierschutz wurde auch dieses Mal verzichtet - erneut lagen die Verkaufszahlen unter den Erwartungen. Die bereits fertig gestellte englische Version des RPG-Krachers erreichte nie die Händlerregale.

  • Das Ende der Geschichte

Der Untergang der Spielefirma war leider nicht mehr aufzuhalten. Zu viel hatte man in die letzten Projekte investiert, der schrumpfende Amiga-Markt bot keine Perspektiven mehr. Viele Mitarbeiter der Firma, darunter Erik Simon, Jurie Hornemann, Thorsten Mutschall und Christian Jungen, wechselten zur Spieleschmiede Blue Byte. Dort bastelte man an Albion, einem inoffiziellen Nachfolger von Ambermoon, dessen Entwicklung ursprünglich auf dem Amiga begann. Weil sich Blue Byte schon längst vom Amiga-Markt zurückgezogen hatte, wurde das Projekt schließlich nur für den PC veröffentlicht. Am Ende kam dabei ein Spiel heraus, das würdevoll in die Fußstapfen der beiden Amiga-Vorgänger trat.

Von der ursprünglichen Amiga-Version existiert nur noch eine Grafikdemo für AGA-Rechner. In dieser Demo kann man einen unbelebten Dungeon durchwandern. Die beeindruckende 3D-Engine und die Grafiken zeigten, was für ein großartiges Spiel der Amiga-Generation entgangen ist.

Eines ist sicher: Thalion wird immer aufgrund zahlreicher großartiger Titel in Erinnerung bleiben. Bis zum letzten Atemzug waren die Mitarbeiter mit Herzblut bei der Sache, kein anderes Unternehmen zauberte so viele technische Innovationen aus dem Ärmel und bis zuletzt beschenkte man die ehrlichen Käufer mit aufwändig ausstaffierten Originalspielen. Das beste Beispiel ist Ambermoon, in dessen Verpackung eine Runenkarte sowie eine wunderschöne Landkarte der Spielwelt zu finden war.

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Dieser Text wurde im AMIGA-MAGAZIN 8/2005, einer Beilage für Abonennten der Zeitschrift PCgo (8/2005), veröffentlicht.

Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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