Musik zur Wüste
Aus dem Leben des Soundprogrammierers Matthias Steinwachs

 

Jede Softwareschmiede achtet auf die grafische Präsentation, der Sound wird jedoch eher stiefmütterlich behandelt. Dass die Musik mindestens genauso viel wert sein kann, zeigen Spiele wie Ultima 8 oder Cyberia. Matthias Steinwachs, ein Soundprogrammierer, schreibt über das Leben eines Computermusikers.

Kamele, Minarette, Sand und Basare. Zum Thema "Durch die Wüste" fallen wohl jedem auf Anhieb die gleichen Begriffe ein. Da ist der Spielraum, den man als Musiker hat, recht begrenzt. "Orientalisch soll es klingen, aber noch an westlichen Hörgewohnheiten orientiert", so lautete auch die Vorgabe von Linel-Chef Markus Grimmer. Solche Aufträge beginnen bei mir immer erst einmal mit ein oder zwei Wochen intensiver Recherche. Ich durchsuche Plattenarchive (vorzugsweise mein eigenes und die der örtlichen Rundfunkstationen - Dank an dieser Stelle an den SFB), nehme in Videotheken alles mit, was irgendwie arabisch klingt (wobei man Filme wie "Die Liebesdienerinnen des Sultans" aber ruhigen Gewissens ausklammern darf) und zappe mich durchs Kabelnetz. Dann tobt bei mir für einige Tage ausnahmslos der Nahe und Mittlere Osten durch die Stereoanlage, solange, bis ich anfange, arabisch zu denken. Dass ich die letzten neun Jahre in Kreuzberg unter einer libanesischen Großfamilie gewohnt habe, die mich, neben dem köstlichen Gebäck, im Zuge der zahlreichen Familienfeste auch mit ihrer Musik versorgt hat, ist zusätzlich ein Plus und erleichtert die Arbeit.

Nachdem ich also die Eigenheiten dieses Musikstils verinnerlicht habe, kann es losgehen. Anhand des Drehbuchs wird nun eine Art musikalisches Storyboard entworfen. Ich kennzeichne die Szenen, die mit eigenen Musiktiteln versorgt werden müssen, lege Grundstimmungen fest und markiere für die Handlung wichtige Geräusche, um sie später in meiner Samplebibliothek zu suchen und ggf. neu zu sampeln. Danach skizziere ich erste Melodien, wobei ich ganz gerne thematisch arbeite und für bestimmte Personen, Orte und Handlungen ähnliche Themen komponiere, da dies den inneren Zusammenhalt eines Spieles verbessert und die Übersichtlichkeit für den Spieler steigert. Wie immer werden die ersten Entwürfe mit dem CM-500 Modul von Roland (SCC1 + LAPC1 in einem Gehäuse), also per MIDI gemacht. Streicher, Percussionsinstrumente, Holzbläser und ein paar Spezialisten wie Santur und Shannai dürfen bleiben, der Rest wird gnadenlos aus der Instrumentenliste des Sequencers entfernt. Etwa 30 Musiktitel stehen auf meinem Storyboard, dazu kommt die Vertonung einer noch ungewissen Zahl von Filmsequenzen (da diese bei Spielen grundsätzlich immer als letztes gezeichnet und programmiert werden - warum auch immer) und ungefähr 90 Samples. Aus den vier Wochen Zeit, die mir Linel für diesen Job anfangs zugesteht, werden erfahrungsgemäß sowieso letztendlich drei Monate, so dass ich die Sache ruhig angehe. Ein Song pro Tag entsteht, schließlich laufen nebenher noch einige andere Aufträge. Nachdem die ersten 20 Songs midimäßig erfasst sind, beginne ich, die Musik auf das LOUDNESS-Musiksystem umzusetzen.

LOUDNESS hat gegenüber den anderen Systemen, die auf dem Markt sind, eine Menge Vorteile. Neben der Tatsache, dass es wesentlich besser klingt als selbst das AIL-System (welches in der Version 3.0 immerhin schlappe 12.000 Dollar kostet, inklusive aller Lizenzen) und mit fast allen Soundkarten läuft, ist Andreas Molnar, der Entwickler dieses Systems, äußerst zuverlässig, was bei Programmierern eine seltene Tugend ist. Er verbessert seine Routinen fast stündlich, also etwa in dem Intervall, in dem neue Soundkarten erscheinen, und da er auch den Totalschaden seines (hoffentlich) letzten Autos beinahe unverletzt überstanden hat, werden wir wohl auch in den nächsten Jahren unsere Zusammenarbeit fortsetzen. Leider hat er sich nicht auf einen Vertrag mit mir eingelassen, der ihm das Autofahren völlig verbietet - ein Restrisiko bleibt also... Wenn Sie jetzt aber Versandhändler und Fachgeschäfte mit dem Wunsch noch diesem Programm abklappern wollen, so muss ich Sie enttäuschen: LOUDNESS gibt es nicht zu kaufen, da Andreas bisher allen Angeboten, seine Routine zu veräußern, widerstehen konnte (was bei den Summen, die er an mir verdient, auch durchaus verständlich ist).

Aber zurück zur Musik zu "Durch die Wüste". Da die LOUDNESS-Songfiles alle Standards unterstützen müssen, von Adlib über Sound- und Waveblaster bis hin zu GM (General Midi), ist jetzt abspecken angesagt. Einige Stimmen müssen bei der Konvertierung gestrichen werden, um die kleineren Karten nicht zu überfordern. Trotzdem aber soll der Charakter der Songs unverändert bleiben, was keine leichte Aufgabe ist. Anschließend werden die FM-Voices den MIDI-Instrumenten angepasst, wobei ich feststelle, dass orientalische Klänge eigentlich sehr FM-freundlich sind. Zwischenzeitlich erreichen mich erste spielbare Szenen und ich bin extrem positiv überrascht. Nachdem der erste Teil der Karl May-Serie, Der Schatz im Silbersee, um es vorsichtig zu formulieren, nicht so toll war, kann sich "Durch die Wüste" durchaus mit vergleichbaren amerikanischen Produkten messen. Besonders die Grafik hat sich um 100% verbessert - die Musik übrigens auch, da ich jetzt ja etwas mehr Zeit habe als beim letzten Mal - da war es knapp eine Woche. Die fertigen Songs sende ich paketweise via Modem zu Andreas, der sie in eine für den Programmcode verwertbare Form bringt und der sie dann, natürlich ebenfalls über den Datenhighway, weiter in die Schweiz schickt. Markus Grimmer ist vorher schon durch Tapes mit den MIDI-Entwürfen über den Fortgang der Arbeit auf dem laufenden gehalten worden und zeigt sich glücklicherweise hochzufrieden. Jetzt müssen nur noch die Filmsequenzen kommen, dann kann ich meinen Teil dieses Projektes abschließen und darauf hoffen, dass es so gut wird, wie es jetzt schon aussieht. Am Sound soll es jedenfalls nicht scheitern.

Wer mit Matthias Steinwachs Kontakt aufnehmen möchte, kann dies jederzeit tun. Schreiben Sie entweder an: Matthias Steinwachs, Xantener Str. 9, 40474 Düsseldorf oder schicken Sie ein Fax an 0211/ 452565! (Bitte nicht mehr schreiben/ faxen.)

PC Games 4/95


Der Arbeitsplatz von Matthias Steinwachs im aufgeräumten Zustand: Kabelsalat lässt sich nicht vermeiden.


Grafisch nicht besonders aufregend, aber funktionell: Das Handwerkszeug eines Computermusikers.