Matthias Steinwachs: Nachklang
 
Airbus A320

Musik kommt im Spiel selber nicht vor; so beschränkte sich meine Arbeit dann auch auf den Titeltrack. Für den hatte Willi [Carmincke] dann genaue Vorgaben: "Mach das mal so, dass das klingt wie Pink Floyd." Er war halt ein großer Fan. Ich dagegen eher weniger - bis dahin hatte ich nicht eine einzige LP von denen zu Hause. Zum Glück arbeitete ich damals aber schon für den SFB (Sender Freies Berlin) und hatte so Zugang zum Schallarchiv. So hieß der Keller mit den zigtausenden von Platten und CDs. Da hatte ich dann eine Kiste leihweise mit nach Hause genommen und mir drei Tage nonstop angehört. Das Ergebnis ist bekannt - und Willi war zufrieden.

Amberstar

Die großartige Musik zur Amiga- und Atari ST-Version von Amberstar stammt noch von Jochen Hippel - insofern gehören ihm auch alle diesbezüglichen Meriten und Anerkennungen. Ich hatte lediglich die Aufgabe, seine Tracks auf den PC zu übertragen. Das hatte was von "Malen nach Zahlen" und war angesichts der damaligen PC-Musikprogramme eine mühselige Angelegenheit, da Amiga mit seinem Tracker und PC mit dem Noten-orientierten Musikprogramm zwei gänzlich unterschiedliche Ansätze zugrunde lagen. Aber es war eine gute Gelegenheit für mich, den ersten Teil der Amber-Serie kennen zu lernen.

No Second Prize

Motorradrennen brauchen ja nicht wirklich viel an Musik, zudem sollte das Game ja auf nur einer Diskette erscheinen. Also beschränkte ich mich auf eine Titelmusik und einen Menü-Track. Wie immer ließ mir Erik [Simon] da ziemlich freie Hand, was die Ausgestaltung anging. Anders als heute, wo in erster Linie die Marketingabteilung das Sagen hat ("Nein, so was wollen die Spieler nicht, wir machen das lieber so, wie wir das schon immer gemacht haben, keine Experimente..."), durfte ich da auch durchaus ungewöhnliche Einfälle präsentieren ohne Gefahr zu laufen, gleich den Job zu verlieren.

Vor meiner Berliner Zeit (1985 bis 1994) hatte ich in Düsseldorf in einer knallharten Funkband namens "Slow Five" Keyboard gespielt und war auch sonst ein großer Fan dieser Stilrichtung. Tower of Power, Brecker Brothers, Herbie Hancock, James Brown und dergleichen mehr lief bei mir in der Heavy Rotation; und endlich sah ich eine Chance, meine Liebe zum Funk auch mal in einem Spiel unterzubringen.

Ausgangspunkt waren einige Gitarrenlicks (ich weiß gar nicht mehr genau, woher ich die hatte), aus denen ich dann zwei recht nette Funknummern bastelte, die es dann auch tatsächlich ins Spiel geschafft haben. Für die Motorensounds hatte ich dann auf Sportkanälen Rennen mitgeschnitten (und dabei immer gehofft, dass der Kommentator mal die Klappe hält) und einschlägige Filme ausgeschlachtet. Um dann tagelang aus diesem Material Loops zu basteln, was länger dauerte als die Produktion der Musik.

Von der Musik von NSP habe ich im Lauf der Jahre zwei Remakes bzw. Cover-Versionen angefertigt. Einmal 2006 die Menü-Musik für den Sampler "Immortal 3", die ich als Longplay mit indischem Touch interpretierte, zum anderen 2020 die Titelmusik von NSP für das Album "Amiga Power - The Album with Attitude". Da hatte mich der Produzent Matthew Smith gebeten, besagten NSP-Track neu in etwas aktuellerer Form noch einmal aufzunehmen. Was ich natürlich gerne gemacht habe - das Ergebnis ist auch recht nah am Original, nur eben besser und voller instrumentiert. Als durchaus kompliziert erwies sich der Nachbau der Gitarrenriffs; nachdem diverse Gitarristen gescheitert waren, mir die Sachen von Hand nachzuspielen, habe ich die dann mit dem "Scarbee Funk Guitarist" von Native Instruments realisiert. Falls das hier irgendjemanden interessieren sollte.

Lionheart

An Lionheart und an Ambermoon arbeitete ich gleichzeitig. Es war da gar nicht so leicht, im Kopf dann auf einen anderen Stil zu schalten. Eben noch volles Orchester für Lionheart, eine Stunde später dann wieder Mittelalter für Ambermoon. Auf Inspiration durfte ich da nicht warten, am Ende des Tages musste ein Ergebnis stehen. Und das war dann Erik meist zu lang. "Klingt klasse, aber mach's kürzer." war sein Standardsatz am Telefon.

Für Lionheart und Ambermoon war ich weg von den Trackern auf den Sonic Arranger gewechselt. Der hatte den Vorteil, dass er auch selber synthetische Sounds produzieren konnte und so weniger Samples (und damit weniger Speicherplatz) benötigte. Der "Drachenflug" aus Lionheart ist zum Beispiel 58 KB groß - der komplette Song wohlgemerkt. Normale Amiga DD-Disketten fassten allerdings auch nur rund 880 KB. Die 10 Lionheart-Songs alleine brauchten - trotz Sonic Arranger und Eriks Mahnungen - am Ende knapp 600 KB. Kein Wunder also, dass Erik dann um jedes Byte bei den Effekten kämpfte. Die Musik war die spaßige Kür, die Effekte waren die zeitraubende Pflicht. Gut 200 Effekte habe ich für Lionheart gebastelt, manche nur wenige Bytes groß - und das hat sicher zehnmal länger gedauert als die Arbeit an der Musik. Heute sucht man sich wuchtige Explosionen aus einer Library, auf die Größe wird dabei nicht geschaut. Damals musste alles noch von Hand gebastelt werden - aber am Ende hat auch das irgendwo Spaß gemacht.

Valdyn, der Held in Lionheart, hatte damals übrigens verblüffende Ähnlichkeit mit Henk (Nieborg), unserem Grafiker. Was a) nicht ganz zufällig so war und b) immer wieder Anlass zu kleinen Sticheleien im Team gab :-).

Ambermoon

Mit der Musik zu Ambermoon begann ich zeitgleich mit der von Lionheart. Der Vertrag ist zwar auf den 10.08.1992 datiert (wo Ambermoon noch "Amberstar 2" hieß), aber ich erinnere mich, dass ich schon ein paar Wochen/ Monate eher die ersten musikalischen Versuche gestartet hatte. Mein Standardspruch damals war "Ich fang' schonmal an, Vertrag können wir ja später machen und über die Bezahlung werden wir uns schon irgendwie einigen." Damit bin ich eigentlich (fast) immer gut gefahren. Nach heutigen Maßstäben war die Bezahlung damals natürlich nicht gerade berauschend: 3.500 DM gab es - für (am Ende) 35 Tracks plus tonnenweise Effekte. Aber ich war zufrieden - vermutlich hätte ich auch ganz ohne Bezahlung gearbeitet, einfach, weil es Spaß machte und ich mich mit dem Team super verstanden hatte. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, habe ich später dann hin und wieder auch erfahren müssen.


Vertrag über die Erstellung
der Musik zu Ambermoon & Lionheart

Genau wie bei Lionheart nutzte ich für Ambermoon den Sonic Arranger von Carsten Schlothe, Branko Mikic und Carsten Herbst. Der hatte den Vorteil, dass er - wie die ganzen Tracker auch - auch gesampelte Instrumente abspielen konnte, aber eben auch eigene synthetische Sounds erzeugte, die dann wesentlich platzsparender waren. Nur so konnten wir überhaupt die Masse an Songs unterbringen. Am Ende wurden es dann trotzdem 10 Disketten. Ohne Festplatte wurde man da zum DJ.

Musikalisch bekam ich von Erik keine großen Vorgaben. Ich hatte einfach drauflos komponiert und ihm die Sachen dann jeweils auf Diskette von Berlin nach Gütersloh geschickt. Drei Tage später kam dann sein Anruf und seine stets fundierte Kritik, was er geändert haben wollte - oder ob er die Songs überhaupt wollte. Oft kam auch sein gefürchtetes "Find' ich klasse, braucht aber noch zu viel Speicher.", worauf ich dann ein weiteres Sample durch synthetische Sounds ersetzte oder ein Sample noch weiter runterrechnete und fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte. Aber am Ende waren wir dann immer alle zufrieden.


Arbeitsdisketten zu Ambermoon & Lionheart

Was die meisten Spieler ja nicht wissen: Die Arbeit an den Soundeffekten ist viel zeitaufwendiger als die an der Musik. Dabei liefen die vertraglich so "nebenher" und wurden gar nicht extra erwähnt - waren also eigentlich unbezahlt. Trotzdem saß ich manchmal tagelang an den immer neuen Soundlisten, die Erik mir schickte. Sprichwörtlich legendär ist inzwischen sein "Feuerspeiender Drache, der einen Wagen mit Holzrädern durch Schlamm zieht" - was schon mit den heutigen technischen Möglichkeiten und Datenbanken eine Tagesaufgabe wäre, damals aber - wo die Effekte nicht länger als einige Bytes waren - fast schon unlösbar war. Auf mein "Wie soll ich das denn machen?" kam von Erik auch nur ein lapidares "Dein Problem, Du bist der Musiker, lass Dir halt was einfallen." Hab' ich dann auch.

Eine PC-Version von Ambermoon war tatsächlich mal in Arbeit. Ich erinnere mich daran, dass ich einige Musiken bereits in MIDI konvertiert hatte - und daran, dass das Projekt nach dem Ende von Thalion von einem anderen Geldgeber finanziert werden sollte. Allerdings schliefen die Arbeiten dann wegen permanenter Finanzierungsfragen und Ungewissheit bei den Rechten irgendwann ein.

Matthias Steinwachs

Die Wiedergabe dieser - zuerst auf "Gamecheck Guru" veröffentlichten - Anekdoten auf "The Thalion Source" erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Matthias Steinwachs.