Die Lionheart-Programmierer im Interview

Lionheart wird zukünftig als Begriff für technische Extraklasse, audiovisuelle Perfektion und spielerische Großartigkeit gehandelt werden. Was das Entwicklungsteam von Thalion mit diesem Titel vollbracht hat, ist einfach grandios. Wir spürten die beiden Hauptverantwortlichen auf und setzten sie unseren Fragen aus.

Besonders bemerkenswert ist die Herkunft der beiden. Erwin Kloibhofer, der Programmierer, stammt ursprünglich aus Österreich, während Henk Nieborg, der Grafiker, in Holland geboren wurde. Vor knapp eineinhalb Jahren sorgten sie erstmals für Aufsehen. Sie waren für das, freundlich ausgedrückt, nicht gerade gute Jump and Run "Ghost Battle" verantwortlich. Unter der Entwicklungsleitung von Erik Simon wurde jedoch schon ihr zweites Projekt zum Megahit. Wie sie über Lionheart und dessen Entwicklung denken, haben wir herausgefunden.

Lionheart ist gerade im Begriff, die Actionwelt auf den Kopf zu stellen. Erwin und Henk, Ihr beide seid hauptsächlich für das Spiel verantwortlich. Wie seid Ihr eigentlich bei Thalion gelandet? Ihr stammt ja nicht aus Gütersloh, noch nicht einmal aus dem gleichen Land.

Es fing alles damit an, dass ich nicht zuletzt aus schulischen Gründen von Österreich nach Holland abgehauen bin. Dort lernte ich Henk kennen, der gerade seine ersten graphischen Schritte auf dem Amiga unternahm, nachdem er schon einige Erfahrungen auf dem 64er gesammelt hatte. Bald entschlossen wir uns, ein Spiel zu machen, woraus dann schließlich "Ghost Battle" wurde. Das Ganze hatten wir unter anderem auch Thalion angeboten, wo wir dann auch irgendwie hängen blieben...

Wer war denn noch alles an der Entwicklung beteiligt?

In erster Linie Erik Simon, der überhaupt die Idee zu Lionheart hatte und praktisch das gesamte Spiel editiert und entworfen hat. Und natürlich Michael Bittner, der die Intro- und Extro-Sequenzen programmierte, und ebenfalls für einige wichtige Routinen und Gegnertaktiken verantwortlich zeichnet. Unentbehrlich war selbstverständlich Matthias "Soundgott" Steinwachs, der für den gesamten Soundtrack verantwortlich ist. Hilfreiche Geister waren ferner Matthias "Matze" Mörstedt, der Beherrscher der Soundroutinen, sowie Wolfgang Breyha und Reinhardt Franz, ohne die das Programm nicht auf 1 MByte laufen würde.

Wie lange habt Ihr denn insgesamt an diesem Megaprojekt gesessen?

Begonnen hatten wir im November 1991. Nach den ersten Hochrechnungen waren wir davon überzeugt, im August fertig zu sein. Doch dann hat die Zeitmaschine doch nicht so richtig funktioniert. Ähem. Wenige Nervenzusammenbrüche später wurde das Spiel schließlich doch erst jetzt (Anm. d. Red.: 22. Januar 1992) fertig.

Euer erstes gemeinsames Spiel, "Ghost Battle", konnte die gesamte Testerzunft nicht gerade begeistern. Wie kam es denn zu diesem Quantensprung bezüglich der Qualität?

Bei "Ghost Battle" hatten wir so ziemlich alle typischen Anfängerfehler gemacht; beispielsweise legten wir zu wenig Wert auf Spieldesign. Außerdem wurde unsere Zusammenarbeit durch große räumliche Entfernung nicht gerade erleichtert. Dass Lionheart ein höheres Niveau erreichte, ist insofern nicht verwunderlich, als das wir ja kaum mehr tiefer sinken konnten.

Lionheart steckt in Sachen Abwechslung und Umfang so manches Konsolenspiel in die Byte-Tasche, da es nicht auf eine bestimmte Modulkapazität eingeschränkt ist. Sollte es eigentlich nicht möglich sein, die Spielefreaks von diesem Vorteil zu überzeugen?

Lionheart ist für Heimcomputer-Verhältnisse sicherlich kein schlechtes Spiel, dennoch sind wir uns darüber im Klaren, dass es im Konsolenbereich technisch und spielerisch noch bessere Jump and Runs gibt. Der Speichervorteil des Amigas kann nur dazu benutzt werden, um vielfältigere Hintergrundgrafiken und Animationen von Disk zu laden. In allen anderen Bereichen jedoch sind die Konsolen dem Amiga überlegen: So zum Beispiel bei der Anzahl der Sprites, Farben, Scrollebenen und Soundkanäle.

Was bevorzugt Ihr privat eigentlich zum Spielen? Konsole oder Amiga?

Wie sich aus der Beantwortung der vorhergehenden Frage schon erkennen lässt, ziehen wir im Actionbereich Konsolen vor.

Eine stattliche Anzahl der Ideen in Lionheart stammt aus Konsolenspielen. Gehört das Spielen von "Super Mario" zu Eurem Job bei Thalion oder macht Euch Entwicklungsleiter Erik Simon da schon einmal einen Strich durch die Rechnung?

Wir sind uns natürlich bewusst, dass aus Japan die besten Actionspiele kommen. Deshalb hielten wir es für sinnvoller, uns an den besten Konsolenspielen zu orientieren, als an den besten Heimcomputerspielen. Klarerweise ergibt sich daraus, dass wir in unserer Freizeit bevorzugt Spitzenspiele wie "Mickey Mouse", "Super Contor", "Castlevania", "Super Ghouls 'n' Ghosts" oder auch "Mario" zocken.

Für welches System würdet Ihr denn im Augenblick am liebsten arbeiten?

Ich würde als Actionfreak am liebsten auf Konsolen arbeiten, während Erwin, der Simulationsfan, den Amiga und PC vorzieht.

Habt Ihr die Hoffnung, einen Nachfolger zu Lionheart programmieren zu dürfen?

Wir hoffen natürlich, einen Nachfolger machen zu können, aber wir glauben nicht daran. Wir befürchten, dass uns durch die gerade bei Actionspielen verbreitete Raubkopierer-Mentalität ein Strich durch die (Gehaltsab-) Rechnung gemacht wird. Nicht wir entscheiden, ob es Lionheart II geben wird, sondern der Amiga-User.

Was haltet Ihr von Factor 5 und Kaiko?

Leider kennen wir die Leute von Factor 5 und Kaiko nicht persönlich, wir kennen und schätzen aber deren Arbeit. Wir halten sie für sehr fähige Programmierer, und wir fühlen uns solidarisch mit ihnen im gemeinsamen Kampf gegen die Unzulänglichkeiten der Amiga-Hardware.

Herrscht in der Programmiererszene eine Art "Konkurrenzkampf", der unter einer sportlichen Rivalität einzuordnen ist?

Selbstverständlich vergleicht man die eigenen Fähigkeiten mit denen anderer Programmierteams. Man wird durch gute Leistungen anderer Teams genauso angespornt, wie der Unterhaltungswert von so manchem danebengegangenen Programm beträchtlich ist.

Gab es während der Entwicklung einen Punkt, wo Ihr Euch gedacht habt "Wir geben auf"?

Niemals.

Blieb Euch irgendetwas aus der langen Entwicklungszeit besonders im Gedächtnis hängen?

Ja, als Erik unabsichtlich die Festplatte mit den Lionheart-Levels formatiert hatte.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin!


Lionheart Animationsphasen: 1 / 2 / 3 / 4 / 5


Hans Ippisch - Play Time 3/93