Algorithmen und Polygone · Interview: Michael Bittner

Michael Bittner ist jemand, der mit Polygonen und Algorithmen jongliert, als wäre es das Normalste auf der Welt. Seit nunmehr 16 Jahren lehrt er 3D-Objekten und Grafiken das Tanzen. Amiga Magazin sprach mit dem Mann, der eine beeindruckende Amiga-Historie aufzuweisen hat.

von Jürgen Beck

Seine Programmierer-Karriere begann Michael Bittner in der Demoszene und stieg später beim Software-Haus Thalion ein. Einen Blick zurück und Informationen zu aktuellen Projekten gab es beim Amiga Magazin-Gespräch.

Amiga Magazin: Herzlich willkommen Herr Bittner. Empfinden Sie es eigentlich als Überraschung, dass sich immer noch Leute für Ihre alten Spiele interessieren?

Bittner: Eigentlich schon, denn gerade Computerspiele gehören schneller zum alten Eisen als man denkt! Aber ab einem bestimmten Alter werden Spiele dann doch wieder interessant.

Amiga Magazin: Wie kamen Sie auf die Idee Computerspiele zu entwickeln?

Bittner: Eine gute Frage! Da Grafikprogrammierung schon von Anfang an mein Steckenpferd war, schien das irgendwie der logischste Schritt zu sein. Zu der damaligen Zeit war das auch die effektivste Art, sein Können unter Beweis zu stellen. Das hat problemlos alle meine Szenedemos in den Schatten gestellt.

Amiga Magazin: Wie sind Sie zu Thalion gekommen?

Bittner: Wie schon erwähnt, über die Demoszene. Speziell durch die damals sehr aktive Demogruppe TEX bekam ich die Kontakte zu Thalion. Also was kann verführerischer sein als mit der Gruppe von Freunden zu dieser Firma zu gehen und unser Hobby bezahlt auszuleben?

Amiga Magazin: Können Sie für uns über die Arbeit dort ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern?

Bittner: Es war ein wenig chaotisch und wir hatten riesigen Spaß, feste Arbeitszeiten gab's nicht. Wenn es gerade Spaß machte, haben wir bis spät in die Nacht gearbeitet oder Videos geschaut, bis die Polizei an der Tür klingelte. Ein paar von den Kollegen inklusive mir haben sogar im Büro "gewohnt".

Amiga Magazin: Auf dem Amiga waren Sie einer der Spezialisten für 3D-Grafik. Man denke nur an die farbenprächtigen Polygone in Trex Warrior oder die Texture-Engine von Ambermoon. Wie haben Sie es geschafft, technische Meilensteine zu setzen?

Bittner: Es gab damals nicht viele, die einfach verrückt genug waren, sich tief in optimierte Assembler-Programmierung zu verbeißen. Da wir Hobby zum Beruf gemacht hatten, stand natürlich viel Zeit zur Verfügung.

Amiga Magazin: Denken Sie, dass Trex Warrior seinerzeit unterbewertet war? Ähnlich spektakuläre Vektorkämpfe im futuristischen Gladiatorenstil gab es sonst nirgends.

Bittner: Das Spiel war eigentlich nicht unterbewertet und es wurde auch in der Presse gut bewertet. Es war einfach nur unbekannt, da keinerlei Marketing für dieses Spiel gemacht wurde. Eine politische Entscheidung von Thalion, die ich persönlich nie richtig nachvollziehen konnte.

Amiga Magazin: Haben Sie jemals daran gedacht, eine modernisierte Neuauflage von Trex Warrior zu programmieren? Ich denke, das Szenario wäre heutzutage insbesondere für packende Multiplayer-Duelle wie geschaffen.

Bittner: Das würde ich sehr gerne machen, aber diese Idee muss natürlich erstmal schmackhaft gemacht werden, um eine Vorausfinanzierung von einem Publisher zu bekommen. Das ist im Moment mit Rennspielen einfacher.

Amiga Magazin: Die Darstellung von texturierter 3D-Grafik in akzeptabler Geschwindigkeit galt auf einem Amiga 500 lange Zeit als nicht umsetzbar. Mit Lionheart und kurz darauf Ambermoon haben Sie das Unmögliche realisiert. Können Sie uns etwas zur Entstehungsgeschichte der beiden Spiele sagen?

Bittner: Was die Darstellung von texturierten Polygonen anbetrifft, kam der Hauptansporn von Erik Simon, der damals mit "geht nicht" einfach nicht ruhig zu stellen war. Also habe ich zusammen mit Kollegen optimiert und gemacht und getan, bis brauchbare Ergebnisse vorlagen. An Lionheart und Ambermoon habe ich nur mitgearbeitet. Bei Ambermoon habe ich die texturierten Dungeons programmiert und an der Logik für den Kampf-Screen gearbeitet. Und das Intro für Ambermoon habe ich programmiert. An Lionheart habe ich ein paar Gegner umgesetzt und auch das Intro. Ich hatte damals eine Grafik-Zoom-Routine programmiert, die auf dem Amiga in einem interessanten Zwei-Pass-Verfahren den Blitter missbraucht hat. Aber das ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch an Details erinnern kann.

Amiga Magazin: Was sehen Sie als Grund für das Aus von Thalion?

Bittner: Wenn mich nicht alles täuscht ein paar Fehlentscheidungen, aber das war nachdem ich Thalion bereits verlassen hatte.

Amiga Magazin: Welches Ihrer Amiga-Spiele ist das für Sie beste und warum?

Bittner: Ganz klar Trex Warrior, das war einfach ein spaßiges Spielchen, was meiner Meinung nach rundum gelungen war. Gute Technik und gelungenes Spielkonzept. Das Design war, glaube ich, von Erik Simon. Lionheart fand ich noch besser, wurde aber von Erwin Kloibhofer entwickelt.

Amiga Magazin: Was haben Sie nach dem Ende von Thalion gemacht?

Bittner: Nachdem ich Thalion verlassen hatte, habe ich Iron Soldier für den Atari Jaguar programmiert. Es folgte Iron Soldier 2, wurde aber eingestellt bevor es fertig war. [Anmerkung des Webmasters: IS2 wurde von Telegames am 30.12.1997 veröffentlicht.] Danach ging es dann zu Synetic.


Spielemacher: Michael Bittner (Mitte) im Kreis seiner Kollegen bei der Präsentation von World Racing 2.

Amiga Magazin: Inwiefern unterscheidet sich mittlerweile Ihre Arbeitsweise gegenüber früher?

Bittner: Es ist inzwischen kein Hobby mehr Spiele zu programmieren und die Konkurrenz ist im Vergleich zu früher gewaltig gestiegen. Der Umfang der Spiele ist derart gewachsen, dass diese extreme Taktzyklenknobelei von früher nicht mehr angebracht ist. Also wird inzwischen komplett in C programmiert und nicht mehr in Assembler wie früher.

Amiga Magazin: An welchem Computer-Spiel arbeiten Sie im Moment?

Bittner: Am Rennspiel World Racing 2, das seinen Vorgänger in jeder Hinsicht toppen wird!

Amiga Magazin: Wann hat das Entwickeln von Spielen mehr Spaß gemacht?

Bittner: Früher natürlich - damals war es ja nur bezahltes Hobby

Amiga Magazin: Was war der eigentliche Höhepunkt Ihrer Programmierer-Karriere?

Bittner: N.I.C.E. 2, würde ich sagen. Mein absolutes Baby bleibt natürlich Trex Warrior auf dem Amiga.

Amiga Magazin: Wie gestalten Sie Ihre Freizeit?

Bittner: Als Hobby habe ich im Moment DIY-Audio, also Selbstbau / Entwurf von Verstärkern und Lautsprechern. Der Computer bleibt in der Freizeit meistens aus.

Amiga Magazin: Beschäftigen Sie sich noch mit dem Thema Amiga? Sei es über den Umweg einer Emulation der alten Hardware oder gar mit neu erhältlichen Systemen?

Bittner: Leider gar nicht mehr. Da der Computer als Hobby aus meinem Leben verschwunden ist, habe ich keinen Kontakt mehr zum Amiga. Aber ich habe meinen Amiga 500 noch!

Amiga Magazin: Gibt es etwas, das Sie den Lesern des Amiga Magazins noch mitteilen möchten?

Bittner: Ich finde es prima, dass es noch Leute gibt, die die guten alten Zeiten nicht in Vergessenheit geraten lassen! Dieses Interesse, das Home-Computer damals geweckt haben, ist heute im Zeitalter des PCs ziemlich verloren gegangen. Es gibt zwar auch heute noch eine Demoszene auf dem PC, aber das ist ja kein Vergleich zu damals mit Amiga und Atari ST.

Amiga Magazin: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

lb

Übersicht: Spiele von Michael Bittner
Warp Amiga, Atari ST
Leavin' Teramis Amiga, Atari ST
Magic Lines Atari ST
A320 Airbus Amiga, Atari ST
Trex Warrior Amiga, Atari ST
Ghost Battle Atari ST
Amberstar Amiga, Atari ST
Lionheart Amiga (Mitarbeit)
Ambermoon Amiga (Mitarbeit)
Iron Soldier 1/2 Atari Jaguar
N.I.C.E. - Have a nice day PC
N.I.C.E. 2 PC
Mercedes Benz Truck Racing PC
World Racing PC, Xbox
World Racing 2 PC, Xbox, PS2

 

Dieser Text wurde im AMIGA-MAGAZIN 10/2005, einer Beilage für Abonennten der Zeitschrift PCgo (10/2005), veröffentlicht.

Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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