Die Newcomer

Michael Bittner will mit Thalion Software den deutschen Spielemarkt beleben.

Michael Bittner darf sich zu einer exklusiven Runde zählen. Er gehört zu dem kleinen Kreis deutscher Assembler-Programmierer, die am liebsten Spiele für den ST schreiben. Michael ist Mitglied eines Teams junger ST-Profis, die unter dem Label "Thalion Software" frischen Wind in den deutschen Softwaremarkt bringen wollen. Michaels und Thalions Debüt-Programm ist ein Actionspiel namens Warp, das mit schnellem Scrolling und feiner Grafik vom Spieler schnelle Reaktionen verlangt.

Michael feierte gerade seinen 20. Geburtstag und besucht die 12. Klasse der gymnasialen Oberstufe. Er wurde 1968 in Schorndorf geboren und lebt heute in Winnenden. Beide Orte liegen in der Nähe von Stuttgart. Michaels Leistungskurse sind Mathematik und Physik. Seine Schulbegeisterung ist eher "mittelmäßig", sein eindeutiges Lieblingsfach ist Chemie. Die Chemie ist auch sein größtes Hobby, dem er in einer Arbeitsgemeinschaft außerhalb des Unterrichts nachgeht. Nach der Schule plant Michael ein Studium. Welches Fach er dafür konkret in Betracht zieht, weiß er noch nicht so genau.

Computer zogen Michael schon immer an. Schon als Kind machte er sich über den programmierbaren Taschenrechner seiner Eltern her. Mit 14 programmierte er das erste Mal auf dem Apple II seiner Schule, den er schon nach kurzer Zeit in Maschinensprache instruierte.

Der ST war Michaels erster eigener Computer. Er arbeitet mit ihm seit 1986, zuerst in Basic, danach durchgehend in Maschinensprache. Auch Michael hat sich das Programmieren auf unkonventionelle Weise durch Tipps von Freunden und eigenes Experimentieren beigebracht. Mit der heutigen Erfahrung schätzt Michael vor allem die Transparenz der ST-Programmierung. Bei der Hardware hält Michael vor allem den Soundchip und den Video-Prozessor für verbesserungswürdig: "Der Soundchip sollte nur mehr Funktionen haben als bisher. Digi-Sounds müssen nicht sein, sie fressen nur Speicher. Beim Video-Shifter wäre ein Modus mit Character-Grafik ganz gut. Der Modus würde besseres Scrolling erlauben."

Auch wenn Michael zur Zeit gespannt die Reaktionen auf Warp abwartet, ist das nächste Spiel schon in Arbeit. Nur eins konnte er schon jetzt verraten: Sein nächstes Spiel verwendet viel 3D-Grafik.

Das Spiel Warp entwickelte sich hauptsächlich aus Michaels Scroll-Routine, die in 16 unterschiedlichen Richtungen arbeitet. Warp ist eine Gemeinschaftsproduktion des Thalion-Teams. Das Spieldesign entwickelte Michael mit einem Zeichner, der mit einem weiteren Kollegen auch die Grafik mit NEOchrome entwarf. Den Soundtrack und die digitalisierte Vorspannmusik übernahm der talentierte Thalion-Musikprogrammierer. Insgesamt haben fünf Leute an Warp gearbeitet. Michael verwendet auch heute noch den K-Seka-Assembler, den er für sehr flexibel hält. Warp nahm insgesamt fünf Monate Entwicklungszeit in Anspruch. Das ist vergleichsweise schnell, wenn man bedenkt, dass Michael das Spiel parallel zur Schule schrieb.

Michael schreibt alle Routinen von Grund auf neu, "denn sie sind viel zu spezifisch, um sie in anderen Programmen zu verwenden". Den größten Schwierigkeiten begegnete Michael bei der Programmierung der Spiellogik. Besonders die Verwaltung der Grafikblöcke der Spielebene nahm einen beträchtlichen Teil der Programmierzeit in Anspruch. An derartigen Problemen tüftelt Michael dann so lange, bis er eine gute Lösung gefunden hat. Mit Erfolg, wie die Vergangenheit beweist.

Michael vermutet sein größtes Programmiertalent im Scrolling-Bereich. Wie Steve Bak, so setzt auch Michael bei Warp ein "Pseudo-Scrolling" ein. Am schlimmsten ist für Michael die Fehlersuche. Auch wenn sie bei Warp nur 20 Prozent der Zeit in Anspruch nahm, "ödet" sie ihn schlichtweg an.

Auf Michael Bittners nächstes Spiel sind wir ebenso gespannt, wie auf Thalions zweite Veröffentlichung Anfang '89: Dragonflight nennt sich das Mammut-Fantasy-Rollenspiel, an dem ein Team der fähigsten ST-Programmierer und Grafiker seit fast zwei Jahren arbeitet. Vielleicht fühlen sich andere deutsche ST-Programmierer durch so ein Projekt zu eigenen Hochleistungen angespornt, oder, um es mit Jez Sans Worten zu sagen: "Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft, sondern steigert auch die Qualität."

Tarik Ahmia (ST-Magazin 1/1989)