Telegene Unholde in Körper und Computer

Was zwei ungleiche Brüder wie das Computervirus und das biologische Virus miteinander verbindet, ist mehr als nur der Name.
Die Dokumentation ihrer Verwandschaft war dem WDR eine amüsante und lehrreiche Filmproduktion wert.

Die alljährliche Schnupfenwelle, die bekanntlich mit Behandlung eine Woche, und ohne sieben Tage währt, war noch nicht über das Land geschwappt, da begannen in Köln seltsame Viren ihr Unwesen zu treiben. "Zerstörerische Computerviren legen EDV-Abteilung lahm", so lautete - mal wieder - eine Pressemeldung. Elmar Mai, Biologe und Fernseh-Autor, von berufswegen mit virologischem und technischem Interesse behaftet, sah die Parallele: Die Strategien und Taktiken sowohl biologischer als auch technischer Viren sind verblüffend ähnlich. Und weil ein Fernsehjournalist so ein Thema nicht ungesendet lassen kann, fand er auch bald eine bereitwillige Redaktion im Westdeutschen Rundfunk. "Highscore" ist ein Computermagazin, das alle zwei Monate in West 3 ausgestrahlt wird und sich in dankenswerter Weise mit dem Amiga nicht nur als Spielecomputer befasst. Einen Sendeplatz für das interessante Thema konnte WDR-Redakteur Peter Helling bald ankündigen, und Elmar Mai begann zu recherchieren.

Die Ähnlichkeit zwischen den Vorgehensweisen eines biologischen Virus und eines technischen Computervirus ist wirklich frappierend. Die visuelle Umsetzung des Themas war von Anfang an klar. Eine Computeranimation sollte die Infektion einer Körperzelle durch ein Virus realitätsnah darstellen. Die technische Entsprechung, der Befall eines Computers durch ein Virus, sollte als abstrakter Zeichentrick ebenfalls auf dem Amiga entstehen. Eine kleine Rahmenhandlung sollte die Informationen sinnvoll verbinden.

Die Kölner Pictures of Oz-Medienproduktion, im Industriefilmbereich bereits hinreichend vorbelastet, begann mit den Vorarbeiten zu dieser delikaten Aufgabe. Mehrere Minuten 2D- und 3D-Animation nach einer genauen Vorgabe und im Rahmen einer Spielszene zu entwerfen und zu produzieren, erfordert mehrere Wochen intensiver Arbeit. Zahlreiche Rasterelektronenmikroskop-Aufnahmen von Viren wurden gesichtet, bis schließlich ein höchst attraktives Exemplar zum Star auserkoren wurde. Ein Grippevirus mit dem Namen "Adeno" erschien optisch eindrucksvoll genug, um die Schrecken einer Infektion deutlich zu machen. Die kristalline Struktur des Virenkörpers setzt sich zwar kompliziert aus unzähligen dreieckigen Pyramiden zusammen, andererseits war aber gerade diese Form zur Modellierung mit einem 3D-Editor sehr geeignet. Die neueste Version 2.09 von Sculpt/ Animate 4D kam gerade recht, um das Werk in Szene zu setzen.

 

Science-Fiction Ambiente für den Erreger

Das Adenovirus sollte wie in einem Science-Fiction-Film über der Kamera ins Bild schweben, sich auf einer Körperzelle festsetzen, mit dieser verschmelzen und seine DNS-Substanz freisetzen. Die DNS, der eigentliche Informationsträger des "Viren-Programms", programmiert die Zelle so um, dass sie nur noch Viren produziert und ihrer eigentlichen Funktion im Organismus nicht mehr nachkommen kann. Das bekannte Ende: Das System bricht zusammen, der Mensch erkrankt. Für die visuelle Umsetzung des Computervirus musste eine andere, abstraktere Möglichkeit gefunden werden. Susanne Wagener, eine junge Kölner Malerin, entwarf "Willi Virus", eine ziemlich bösartige kleine Figur, die den Part des Invasoren in einem Computersystem zu spielen hatte. Mit DPaint III wurde der virale Unhold in Form einer einfachen Legetrick-Animation belebt. Willi Virus zeigt, wie ein Programm infiziert wird und den Zusammenbruch des Systems verursacht. Beide Animationsteile mussten dann an eine kurze Spielszene angepasst werden. Hier kommt schließlich die Parallelität der Situation szenisch verdichtet zum Ausdruck: Ein Computerexperte konsultiert einen Virologen, da er sich eine seltsame Infektion zugezogen hat. Der Arzt demonstriert die Ergebnisse seiner Untersuchung durch eine Computersimulation des verdächtigten Virus. Der Zufall (und der Autor) wollen, dass eben dieser Computer ebenfalls von Viren befallen ist. Der niesende Patient wird zum Arzt, und der computergläubige Mediziner zum Patienten. Der Text für beide Schauspieler ist fast der gleiche, die Situation zeigt in überspitzter Form die Ähnlichkeit der Systeme.

Und dann ging es los: Ein 68020-Amiga mit einem flickerfreien Multisync-Monitor diente zum Entwurf und zum Modellieren der 3D-Objekte. Komplexe hierarchische Bewegungsabfolgen mussten festgelegt werden, bis die ersten Takes als Drahtgittermodelle zu sehen waren. Die berühmten Aufnahmen der Apollo-Mondflüge dienten als dramaturgisches Vorbild für die Landung des Adeno auf der Zelle. Dazu wurde mit SA4D eine Beleuchtungsmethode gefunden, die einen halbwegs realistischen Eindruck des mikrobiologischen Szenarios vermittelt. Schließlich ist das Körperinnere eines Menschen keineswegs beleuchtet. Und wie sollte der Kontakt des Virus mit der Zelle simuliert werden? Eine optische Dokumentation dieses Vorgangs gibt es nicht. Eine filmisch und fachlich richtige Lösung lag dann darin, das Virus mit dem Zellkörper verschmelzen zu lassen. SA4D ermöglichte diesen Take durch eine keyframe-gesteuerte Metamorphose, in der sich Form, Farbe und Material der Objekte gleichzeitig verändern. Parallel dazu glühte der 68030-Prozessor des zweiten Amiga. Hier wurde die gesamte Animation in kurze, etwa zehn Sekunden lange Takes gegliedert. Immerhin wurden rund 1500 Einzelbilder im fernsehgerechten Jumbo-Format und in Scanline-Rendering-Qualität berechnet. Bei jedem Take mit etwa 100 Frames benötigte selbst der schnelle 25 MHz-Amiga fast vier Tage, bis er aus den entworfenen Objekten eine ablauffähige RAM-Animation errechnet hatte.

 

DPaint III macht Virus-Willi virulent

Insgesamt benötigte die 68030-Workstation im Tag- und Nachtbetrieb zum Rendering der Animation rund drei Wochen. In einigen Takes war der komplette Körper des Adeno-Virus durch einen Dummy ersetzt worden, eine einfachere Version, da das Original aus immerhin 17000 Vertices - das sind Konstruktionspunkte - besteht. Nachdem Bewegungen und Gesamteindruck der ersten Rendering-Version korregiert waren, ging es in die zweite Runde. Die Verbesserungen an Bewegungsabläufen, an Licht und Objekten selbst resultierten in einem zweiten Rendering-Monat.

Um einiges einfacher war die Animation des Computervirus: Die Vorlagen wurden mit einem Scanner digitalisiert und mit DPaint III zum Leben erweckt. Aber auch hierbei war das Programm heftig gefordert, denn HiRes-Auflösung und 16 Farben sorgten für umfangreiche, drei bis vier Megabyte lange Dateien. Kenner sprechen DPaint III eine bessere Ergonomie und größere Möglichkeiten zu als selbst der vielgepriesenen Paintbox. Dieses Profi-Gerät bietet natürlich mehr Farben und bessere Bildqualität. Auch bei den 2D-Animationen gewährleistete die Rechengeschwindigkeit des 68030-Chips einen ruckfreien Ablauf.

Nach arbeitsreichen Produktionswochen war es endlich so weit: Das gesamte Computermaterial wurde zur weiteren Bearbeitung und zum Schnitt aufgezeichnet. Dabei sah der Amiga im maschinenstarrenden, 50 Millionen Mark teuren MAZ-Nachbearbeitungszentrum des WDR ziemlich verloren aus. Über eine interne Magni-Genlockkarte liefen die Animationstakes ohne jede Komplikation auf die Rekorder. Bildqualität und Ablaufgeschwindigkeit hielten den Erwartungen stand. Wenig später wurden die bereits gedrehten Spielszenen und die Computertakes zusammengeschnitten und eine sendefertige Kopie hergestellt. Am 30. März wird der Beitrag in West 3 zu sehen sein.

(Manfred J. Heinze/ AMIGA Welt 2/90)